Flexionen des Alltags von Eva Seck
Letztens sprach ich mit einer Freundin über Trost. Ich sagte ihr, es gebe Tage, da wünschte ich, jemand würde mir tröstend die Hand auf den Rücken legen. Immer dann, wenn sich Bitterkeit und Trauer aufs Gemüt legen, wenn nichts mehr Sinn zu machen scheint. Dafür brauche ich bloss die Zeitung aufzuschlagen, auf eine falsche Kommentarspalte im Internet zu klicken. Es braucht nur eine Nacht mit keinem oder schlechtem Schlaf, eine kleine Auseinandersetzung, die Nachricht, eine Bekannte sei erkrankt, schon beginnt das Sichtfeld an den Rändern zu verschwimmen. Und dann sind da auch noch die Ängste. Die Angst vor der Verhärtung der Gesellschaft oder die Angst, «nicht eingeladen zu sein aufs Fest des Lebens, ungeliebt zu sein, als mickrig erkannt, enttarnt zu werden», wie es Gabriele von Arnim in ihrem Buch «Der Trost der Schönheit» schreibt. Denn alle bräuchten wir Trost. Aber so ehrlich seien nicht viele. An einem kalten, grauen Dezembertag spazierte ich durch den Wald, es begann zu nieseln. Eine Frau joggt mir entgegen, sie lächelte mir ganz unvermittelt zu, mit einem offenen Gesicht, und ich lächelte froh zurück und fühlte mich den Rest des Spaziergangs von einem tröstlichen Gefühl getragen. Warum lassen wir den Trost so selten in unser Leben, fragte ich die Freundin. Sie vermutete, es sei wegen der Angst vor der eigenen Verletzlichkeit. Getröstet kann nur werden, wer bereit sei, seine Verletzungen zu fühlen und sich als sterblich zu begreifen. Und dies, sagte die Freundin, sei ein Wagnis, das viele nicht eingehen wollten. Dabei sollten wir darum kämpfen, berührbar zu bleiben. Es sei ein schmaler Grat, empfänglich zu sein und nicht daran zu zerbrechen. Ich greife nach der Hand meiner Freundin und drücke sie.
Eva Seck (*1985 in Rheinfelden) schreibt Lyrik, Prosa und essayistische Texte. Ihr letzter Gedichtband «versicke rungen» erschien 2022 im Verlag die brotsuppe in Biel. Sie lebt mit ihrer Familie in Basel.