Bühne frei für die grossen Themen

Interview
Michael Hunziker

Der Spielclub Bühne Aarau Ensemble thematisiert das Älterwerden.

An der Bühne Aarau findet Anfang Juni das Spielclub-Festival statt. Unter dem Motto Goodbye-Hello begegnen sich Publikum und die Spielenden mehrerer Generationen zu einer theatralischen Feier der universellen Themen. Abschiede, Übergänge, Anfänge – wir stellen das gigantische Vorhaben vor.

Sarah Freiermuth betreut die Spielclubs der Bühne Aarau. Sie hat den Überblick über das lebendige Gewusel vor und hinter der Bühne von drei Generationen Menschen – meistens, gerade ist Endspurt für das grosse Festival. Wir haben mit ihr über die Laienkultur an der Bühne Aarau gesprochen.

Wie ist die Idee entstanden, dass alle Spielclubs gemeinsam ein Theater-Festival ausrichten könnten?

Unsere Spielclubs und das Bühne Aarau Ensemble sind schon seit einigen Jahren fester Bestandteil des Hauses. Mit einem Festival wollen wir das Schaffen der Gruppen her­ vorheben. Sämtliche Premieren finden am selben Wochen­ ende auf derselben Bühne statt. In dieser Saison steuerten wir bewusst darauf hin, dass sich die Gruppen begegnen. Aus diesen Momenten heraus ist der Themenkomplex Ab­ schiede, Anfänge, Übergänge und Zwischenräume ent­ standen, der im Festivalnamen Goodbye­Hello aufgegangen ist. Zudem befindet sich ja die Bühne Aarau auch in einem Übergang. Es ist die letzte Saison, die vom langjährigen künst­ lerischen Leiter Peter Jakob Kelting programmiert wurde, die neue künstlerische Leitung Ann­Marie Arioli programmiert derzeit die kommende Saison. Etwas geht zu Ende, etwas Neues fängt an.

Wie setzt ihr nun das Thema künstlerisch um?

Das Spannungsfeld von Goodbye­Hello ist ja ziemlich breit und jede Spielclubleitung hat für sich entschieden, wie sie diese Reise und die Auseinandersetzung beginnt. Unsere Stücke sind ausschliesslich selbst entwickelt. Wir sind mit den Gruppen in eine aktive Auseinandersetzung mit den Themen gegangen. In szenischen Improvisationen, Diskussionen, schreibend und spielend haben wir sie erarbeitet. Die Szenografin Helen Prates de Matos hat uns durch die Saison hindurch Materialien zugespielt, aus denen sich mit der Zeit das Bühnenbild und die Kostüme entwickelten. Für mich ist unsere Arbeit aber weit mehr als das Hinarbeiten auf die Aufführungen. Es geht mir um Begegnung, gemeinsames Verhandeln, sich inspirieren, beweglich bleiben und wachsen.

Wie muss man sich nun die Endproben vorstellen, mit 61 Menschen und fünf verschiedenen Stücken?

Da wir nur zwei Bühnen haben, die miteinander verbun den sind, probt eine Gruppe immer leise, die andere laut. Das Setting erfordert viele Kompromisse aller Beteiligten. Es ist aber auch schön, gemeinsam im Endprobenboot zu sitzen. In den Pausen tauschen wir uns aus und essen gemeinsam Zmittag im Hof.

Welche Bedeutung hat die Laienkultur an der Bühne Aarau?

Unsere Spielclubs haben einen festen Platz im Saisonprogramm, stehen neben professionellen Produktionen im Programm und bespielen die gleichen Bühnen. Sie erarbeiten in einem professionellen Setting mit Theaterpäda­ goginnen über die Saison hinweg ein Stück. Die Spieler*innen sind Teil unseres Hauses. Fast jeden Tag findet eine Probe statt. Schüler*innen machen in der Theaterbar ihre Hausaufgaben, ältere Spieler*innen kommen direkt von der Arbeit und essen noch Znacht. Die Theaterbar ist ein Ort, an dem verschiedenes gleichzeitig passiert. Man lernt sich kennen, wird eine Community. Die Spieler*innen werden als Testpublikum eingeladen, können vergünstigt ins Theater. Sie sind sozusagen unser erweitertes Team, prägen und bewegen die Bühne Aarau.

Welche Herausforderungen stellen sich den Spielclubs?

Spielclubproduktionen sind jedes Mal ein Seiltanz. Die Schule fordert, das Leben fordert, Theaterspielen braucht Energie und zeitliche Ressourcen. Intensivproben am Wochenende bedeuten weniger Zeit zum Lernen und der daraus entstehende Druck spüren wir dann auch in den Proben. Es ist jedes Mal ein kleines Wunder, wenn wir es wieder schaffen, eine Produktion zur Premiere zu bringen – die Möglichkeit zu scheitern ist immer im Raum. Als Theater­ pädagogin fühle ich mich oft auf wilder See. Man möchte so vielem gerecht werden. Den Spieler*innen, dem Stück, dem Thema, dem eigenen ästhetischen Anspruch, dem Publikum, dem Theaterhaus.

Wie bist du fürs Theater sozialisiert worden?

Ich habe durch die Schule zum Theaterspielen gefunden und danach selbst viele Jahre in Spielclubs gespielt.

Was möchtest du den Spielclubs auf den Weg geben?

Ich wünsche mir, dass das Wunder des Theaters auch in dieser Saison passiert. Ich wünsche den Spielclubs, dass sie dieses Festival geniessen, sich begegnen und feiern. Und dass die Begegnungen aus dieser Saison noch weiterhin spürbar bleiben. Und ich wünsche der Bühne Aarau, dass sie den Wert dieser Begegnungen sieht und auch weiterhin strukturell einplant.

«Als Theaterpädagogin fühle ich mich oft auf wilder See»: Sarah Freiermuth.

ZUR PERSON

Sarah Freiermuth (*1990) wohnt in Zürich, studierte Theaterpädagogik an der ZHDHK. An der Bühne Aarau leitet sie seit vier Jahren zusammen mit Nina Curcio den u23 und betreut in der zweitenSaison die Spielclubs mit aktuell 61 Menschen. Der Abschied ist nicht nur auf der Bühne Programm, sie wird Ende Juni die Bühne Aarau verlassen.

DAS FESTIVAL

An sechs Spieltagen, auf zwei Bühnen und im gleichen Bühnenbild inszenieren die Spielclubs ihre Stücke in der Alten Reithalle. Die Produktionen drehen sich um universell anthropologische Themen wie Abschied, Anfang und Übergang. Es wird einen Kiosk geben, an dem Gewöhnliches und Ungewöhnliches erhältlich ist und von Spieler*innen moderierte Nachgespräche («Hello from the other side»). Die Band einer Spielerin wird am Freitagabend spielen («God in Therapy») – und warum nicht das Festival mit einem Marathon beschliessen? Am letzten Spieltag werden alle Stücke am Stück gespielt.

AARAU Alte Reithalle, Sa, 1. bis Sa, 8.Juni Programm: bühne-­aarau.ch

«Grau ist Grau – oder?» – Kinderclub u12

Graue Tage in einer Stadt, die selbst grau geworden ist vor lauter Monotonie, wie auch der Sand auf dem Spielplatz und überhaupt das ganze Leben. Plötzlich liegt da aber ein Geruch in der Luft, erst flüchtig, dann allmählich klarer treten Zeichen hervor, die die Kinder natürlich zu deuten wissen: Ist eine Veränderung überfällig, kommt eine neue Zeit? Zumindest eine Kontroverse bahnt sich an: «Durch die Ereignisse gibt es eine grosse Aufregung in der Stadt, es bilden sich zwei Lager, pro und kontra», erzählt die 13­jährige Julia aus Suhr, und ihre Kollegin Semina, 10, aus Aarau, ergänzt: «Die Bewohner wollen sich nicht auf Neues einlassen; sie haben Angst davor.» Die beiden jungen Spielerinnen würden später gerne einmal professionell bei einem Theater oder Musical arbeiten. Mit ihrem aktuellen Stück möchten Sie dem Publikum ein bisschen Zivilcourage und Ungehorsam auf den Weg geben: «Man muss nicht eine Seite wählen und man sollte sich nicht immer anpassen, so wie andere es wollen. Man soll auf das Bauchgefühl hören und versuchen, immer sich selbst zu sein», sagt Semina. mh

«Now and Then and Before» – Jugendclub U16

Eben war alles noch so unbeschwert: Herumrennen, Fangen spielen, Spielplätze. Doch nun, allmählich, meldet sich das Erwachsenwerden und der Ernst zieht auf. Muss es so sein? Die globalen Krisen der Gegenwart, wollen die die Jugendlichen überhaupt erben? «Vielleicht könnten wir die Welt retten», sagt Ecrin, 13, aus Aarau. «Darum geht es im Stück schon auch, aber eben auch um Rassismus, Mobbing.» Eben darum, wie es ist, in solchen Spannungsfeldern aufzuwachsen. Ecrin spielt seit 2020 im Spielclub: «Ich liebe es, Menschen zu imitieren.» Sie habe auch schon in Filmen mitgespielt und würde gerne später eine schauspielerische Laufbahn einschlagen, am liebsten in Amerika: «In einer Sitcom die Leute zum Lachen zu bringen, das würde mir gefallen.» Ihr bedeute das Theaterspielen im Alltag viel, weil es ihr «einen Ort gibt, in dem ich mich selbst sein kann.» Tanzen, rumschreien – die Bühne räumt der Unbeschwertheit gewissermassen wieder einen Ort ein. Sie hofft, beim Publikum ein Verständnis für das Verhalten von Jugendlichen erzeugen zu können: «Dass die Leute verstehen, dass die Reaktionen von uns nicht immer so ge­ meint sind, wie sie rüberkommen und dass die Erwachse­ nen mit uns Geduld haben. Wir sind nicht perfekt – du übrigens auch nicht.» mh

«Bald alt – aufräumen in der zweiten Pubertät» – Bühne Aarau Ensemble

Das Älterwerden nimmt bekanntlich bis ganz zum Ende kein Ende und demnach ist diese zweite Pubertät auch nie abgeschlossen, auch wenn man sich mit Eisbaden, Alkohol­ entsagung und anderen Selbstfindungsmethoden noch so abmüht. Letztlich scheinen alle Mühen darauf hinauszulaufen, sich irgendwie fit zu halten für eine Gegenwart, die schon mal die eine und den anderen überfordert, der die Schallgrenze 40 Jahre durchbrochen hat. Die Spieler*innen des Ensembles der Bühne Aarau haben eigentlich für sich bereits ein Rezept gegen die Krise(n) des Älterwerdens gefunden, die sie gemein­ sam auf die Bühne bringen und humorvoll durchdeklinier­ en. «Manchmal macht die Angst vor dem Älterwerden mehr Probleme, als das Älterwerden selbst», sagt Iryna Ivansh­ chewa, 35, Pflegehelferin aus Gränichen. Ivanshechwa ist noch nicht lange im Ensemble. «Als ich kam, konnte ich fast kein Deutsch. Die Aufgaben verstand ich nur durch Bewegung­ en und Mimik», erzählt sie. Das Theaterspielen hätte ihr den Kulturschock etwas genommen: «Der Stückentwicklungsprozess hat mir Freude gemacht und mir ein Verständnis für die schweizerische Kultur gegeben. Ich habe mit meinen Kolleginnen von der Bühne Aarau schnell Freundschaft geschlossen.» Was das Theaterspielen kann, hat auch Brigitte Lacerda, 64, aus Aarau erlebt, die erst im Pensionierungsprozess aufs Theater gekommen ist. «Im Theater kannst du alles aussen vor lassen und in fünf Minuten bist du ge­ meinsam mit anderen Menschen in einer anderen Welt», er­ zählt sie. Neue Leute kennenlernen, etwas erschaffen, diese Erlebnisse hätten ihr auch in Bezug auf das eigene Älterwerden Zuversicht gegeben. «Ich wünsche mir, dass das Thema Alter mehr mit Leichtigkeit, mehr mit Farbe verbunden wird. Jung sein ist super, alt sein ist auch super.» Und auch Iryna Ivanshchewa möchte durch das Stück «Lust auf das Alter und das Leben» machen. mh

«21 Arten zu verschwinden» – Spielclub u23

Den Abschied loopen. Eine Homeparty beenden. Die Letzten sein. Immer öfters einfach verschwinden: «In unserem Stück werden verschiedene Aspekte des Abschieds angesprochen. Diese können humorvoll sein, aber auch traurig. Wir wollen gemeinsam mit dem Publikum einen Erfahrungsraum bauen, indem wir Geschichten zum Thema Abschied erzählen und gemeinsam über das Ver­ abschieden sprechen», sagt Lisa Lüscher (23, Brittnau) über die aktuelle Produktion des Spielclubs u23. «Ein Aspekt, den ich mit­ nehme, ist, wie stark das Thema Tod und allgemein Trauer in unserer Gesellschaft tabuisiert werden. Ich finde es schön, wie wir im Stück darüber sprechen und dem Thema Raum lassen.» Keine leichte Materie, mit der sich die jungen Schauspieler*innen auseinandersetzen, und trotzdem überwiegt die positive Einstellung, wie Julia Tremp (21, Aarau) sagt: «Ich wünsche mir, dass sich das Publikum wohl fühlt, dass sie sich eingeladen fühlen, die Reise mit uns anzutreten. Ich wünsche mir, dass erinnert wird und das wir gemeinsam in der Glungge verweilen können.» Für Julia ist es bereits ihr siebtes Projekt bei der Bühne Aarau: «Ich kann sagen, ich bin hier gross geworden.» Trotzdem könne sie sich nicht vorstellen, pro­ fessionelle Schauspielerin zu werden: «Ich glaube, ich würde die Freude daran verlieren, wenn es mein Job wäre.» Auch Melissa Xenaki (16, Buchs) ist schon lange dabei, spielte bereits in den Jugendclubs und dieses Jahr zum ersten Mal im u23. «Ich liebe die Theaterenergie und das Versetzen in andere Rollen – einfach für eine kurze Zeit nicht zu hundert Prozent ich selbst sein.» Und sie kann es kaum er­ warten, dass es bald losgeht: «Das Gefühl vor einer Auf­ führung ist einzigartig, es ist extrem intensiv und immer wieder ein besonderes Erlebnis.» phn 

«Leben in vollen Zügen» – Spielclub uFrei 

Einsteigen, Aussteigen, Warten. Der Zug ist voll, leer, abge­ fahren. Wir begegnen uns, trennen uns. Die Gesichter ver­ blassen in der Menge. «Leben in vollen Zügen» thematisiert die Intensität des Lebens, Traumwelten, Bubbles, Nicht­ Orte. Aber vor allem geht es um Züge. Das Stück wurde von vier Spieler*innen im Kollektiv erarbeitet – ein komplexer Prozess, wie Katja Bachmann (27, Aarau) sagt: «Es ist ein bis­ schen Tagebuch führen: es fliesst oft viel Persönliches mit ein. Das kann herausfordernd, intensiv, spannend, aber auch schön sein. So kann mensch sich immer wieder weiterentwickeln und vielleicht auf eine ungewöhnliche Art selbstverwirklichen.» Ähnlich sieht dies auch Elisa Sofia Theiler (21, Baden); für sie ist das Theater ein Safe Space, «ein Ort, wo alle Menschen willkommen sind und ein Ort, wo ich meine Stimme finden und in Kunst umsetzen durfte.» Lorena Cipriano (26, Bern) bezeichnet das Theater als Begegnungsort, in welchem mittels performativen Aktionen potenzielle Realitäten erprobt und dadurch ein Dialog eröffnet werden kann – unter den Performer*innen, mit dem Publikum oder mit sich selbst: «Dieser Raum bietet für mich die Möglichkeit für die Diskussion gesellschaftlich relevanter Themen und macht diese physisch erfahrbar.» Und weshalb sich die vier für das aktuelle Stück gerade mit dem Thema Zugfahren auseinandergesetzt haben und was wir als Publikum davon mitnehmen können, bringt Luca Schmutz (26, Reinach) elegant auf den Punkt: «Ich erhoffe mir, dass die Menschen einmal über das Zugfahren philosophieren. Sich einmal vor Augen führen, wie absurd es ist, dass da Hunderte Menschen so nah beieinandersitzen. Was jede Person zu erzählen hätte, wie stark unsere Persönlichkeiten an­ einanderdrücken, und wie fest wir uns doch davon ablenken, ja uns von uns selbst ablenken. Wie wir im Angesicht der schillernden Buntheit unserer Präsenzen zu uniformen Wesen mutieren, kleinlich darauf bedacht, möglichst wenig von uns preiszugeben.» phn