Das wandelnde Büro

Von
Simona Pfister

Von der Geburtsstunde im mittelalterlichen Kloster bis zu den Spielplätzen der Hightech-Firmen: Das Büro mit seinen Logiken ist erfolgreich durch Jahrhunderte gegangen und hat sich in unsere Körper und Verhaltensweisen eingeschrieben

Einen Drittel der Lebenszeit verbringen die Schweizer*in nen mit Arbeiten, und zwar meistens im Büro. Ziemlich viel Lebenszeit also an einem Ort, über den wir erstaunlich wenig nachdenken. Denn was ist das überhaupt, ein «Büro»? «We know them when we see them», schreibt die Kul turwissenschaftlerin Sheila Liming, die ein ganzes Büch über das Büro geschrieben hat («office»). Und tatsächlich: Sofort erkennen wir ein Büro, wenn wir eines sehen. Das liegt an einer Reihe von Gegenständen, die es auszeichnen – vom Drehstuhl zum Bostitch, von der müden Zimmerpflanze zum herumliegenden Krimskrams, vom Cubicle zum Türschild des Chefs, aber auch an ganz eigenen Gesetzen, die dort herrschen. Zum Beispiel wird Alkohol nur an Weihnachtsparties getrunken, Kaffee dafür gern jeden und den ganzen Tag. Man verhält sich dort nicht wie im Privaten, und doch ist es auch nicht ganz öffentlich. Die Menschen nehmen be stimmte Ränge in einer Hierarchie ein, und doch sollte man es ihnen nicht allzu sehr anmerken.

Vor allem aber zeichnet sich das Büro durch einen ein maligen Effekt aus: Es macht unsichtbare Arbeit sichtbar; es zeigt, dass auch die, die primär mit dem Kopf (bzw. heute: dem Computer) arbeiten und also kein mit der Hand greif bares Produkt herstellen, trotzdem arbeiten.

Seine Ursprünge hat das moderne Büro in den mittel alterlichen Schreibstuben der Mönche – sozusagen die «Schutzheiligen» der zeitgenössischen Bürolisten. Einen regelrechten Popularitätsschub erlebte es dann in der zweiten Hälfte des 19 . Jh. – dank der Industrialisierung und dank Erfindungen wie dem Telefon oder der Schreibma schine. Mit den Bemühungen zur «Rationalisierung» der Fabrik- arbeit (Stichwort: Taylor und Ford) vom Anfang des 20. Jh. verbreitete sich Büroarbeit weiter – irgendwo musste die straffe Organisation der Fabrik ja verwaltet werden–, bis dann die Büros ab den 1910er und 20ern selbst einer straffen Disziplin unterworfen wurden, zum Beispiel mit Panoptikum-artigen Grundrissen.

Von da an ist der Siegeszug der Büros im 20.Jahrhundert ungebrochen. Ausgestattet mit immer neuen technischen Erfindungen, wie Kopierer, Fax, Computer, Druckern und so weiter, prägte es ganze Skylines und Städtebilder. Immer wieder nahm das Büro dabei unterschiedliche Formen an: Erst mit einer Art Atrium / Galerie-Aufteilung (unten die weiblichen Sekretärinnen, oben die männlichen Chefs), später dann mit Grossraumbüro und Cubicles, bis hin zu den zeitgenössischen Spielplatzbüros von Tech-Firmen. Doch so sehr das Büro sein Aussehen wandelte, so sehr blieb es aber als Stätte der Arbeit und als integraler Teil der Leben bestehen.

Und das gilt auch heute, im Zeitalter von Homeoffice und Coffee-Shop-Arbeitsplätzen: Zwar wird das Büro als Ort zunehmend weniger wichtig, weil die Menschen wegen Smartphone und Laptop einerseits, wegen zunehmend losen Anstellungsverhältnissen anderseits, immer flexibler, das heisst örtlich und zeitlich unabhängiger ihre Arbeit verrichten. Zugleich führt dieser Wegfall des Büros als Ort, der die geistige Arbeit nach aussen sichtbar machte, dazu, dass die Menschen sich innerlich umso mehr versichern müssen, dass sie (genug) arbeiten. So werden sie zur Kontrollinstanz ihrer eigenen Arbeit, ja, sie haben die Disziplin, die die Örtlichkeit des Büros im 20.Jahrhundert durch Stempeluhr und gegenseitige Beobachtung ausübt, im 21.Jahrhundert geradezu verinnerlicht. Das zeigt sich in den Gedanken als ständige Sorge um die eigene Produktivität, im Körper, wenn die Hände wie von selbst alle fünf Minuten den Mailbutton auf dem Smartphone antippen, und im Alltag darin, dass die Menschen jeden noch so kleinen Teil ihres Lebens administrativ zu erfassen und zu verwalten versuchen – von der Anzahl Schritte beim Waldspaziergang, zu den Stunden Schlaf in der Nacht, bis hin zu der Anzahl Klicks auf die eigenen Werbeanzeigen, das heisst Instagram-Accounts.

Vielleicht ist das der Grund, wieso trotz Homeofficemöglichkeit nur ganz wenige Menschen komplett auf feste, externe Büroräume verzichten wollen, ja, manche sich sogar Büroräume mieten, das heisst Geld zahlen, um ihre Arbeit auszuüben: Wenn wir einen Ort haben, an dem Büro ist, sind wir davon entlastet, es die ganze Zeit selbst zu sein.

Simona Pfister ist Religionswissenschaftlerin, Historikerin und Autorin.

LEBEN UND SCHREIBEN IM BÜROZÄN

Das Aargauer Literaturhaus Lenzburg widmet dem mysteriösen und omnipräsenten Phänomen des Büros eine kleine Veranstaltungsreihe. In «Bürozän – Leben und Schreiben im Zeitalter des Büros» wirft Simona Pfister gemeinsam mit Dorothee Elmiger und Juan S. Guse einen Blick auf die Schreibtische und fragt, welche Rolle das Büro als Oberfläche und Kultur im zeitgenössischen Leben und Schreiben einnimmt. Mit Andreas Kilcher, Professor für Literaturwissenschaft an der ETH Zürich, geht es auf eine Reise zu Kafkas Schreibtisch und seiner Auseinandersetzung mit der ewigen Bürokratie. Alles natürlich nach Feierabend und Büroschluss.

LENZBURG Aargauer Literaturhaus, Fr, 17. Mai, 19.45 (Dorothee Elmiger und Juan S. Guse); Mi, 26.Juni, 19.45 (Andreas Kilcher)