Unterwegs

Der feminine Blick zwischen Blumen und Zäunen

Von
Matteo Emilio Baldi

Unterwegs mit Cori Nora

Der Soziologe Andreas Reckwitz sagt es unverblümt: Die Kreativität ist in der Gegenwartsgesellschaft zum Imperativ geworden. Ob man damit einverstanden ist oder nicht, Indizien dazu gibt es zuhauf. Zum Beispiel im Museums-Shop im Kunstmuseum Basel. Dort bin ich mit Songwriterin und Multiinstrumentalistin Corinne Huber. Weil wir etwas spät dran sind, lohnt sich der Besuch der Ausstellung «The Evidence of Things Not Seen» von Carrie Mae Weems nicht mehr. Huber, die unter Cori Nora als Soloartistin auftritt und kürzlich ihr Debutalbum «Flowers and Fences» veröffentlicht hat, sucht eine Grusskarte für eine Freundin aus, die sie im Anschluss an unser Gespräch trifft. Ich schaue mich derweil etwas um, bis es mir zu eng wird: Von den neonfarbenen Buchcovers der Verkaufsregale her pocht es mir entgegen: «Why are we not creative?» und «Think like an artist, don’t act like one» und «Mein kreatives Geheimnis sind bequeme Schuhe». Ok, ok, ok, give me a break, versuche ich ihnen entgegenzuhalten und frage mich sogleich, was dieser Schaffensdruck in Huber bewirken mag.

In ihrem Leben war Musik schon immer da: Ihr Vater ist der Pianist und Komponist Felix Huber, der improvisierte Musik und Jazz spielt. So musizieren sie und ihr Bruder Christoph Huber schon in der Kindheit im Familienkreis und inszenieren eigene Musiktheaterstücke. Huber machte später die Kanti in Aarau, wo sie im Musikunterricht auf einen Lehrer traf, der ein ausgeprägt normatives Verständnis von Musikkultur hatte. «Nur klassische Musik war ‹richtige› Musik, Jazz und aktuelle Musik zählten da nicht dazu», erzählt Huber. Der Lehrer habe ihr zwar grosses musikalisches Talent attestiert, jedoch auch die Prognose gestellt, dass sie es nie schaffen würde. (Voilà – kein ernsthaftes künstlerisches Interesse ohne Schaffensdruck!)

Die Auseinandersetzung mit dem Lehrer verdirbt ihr die Lust aufs Schwerpunktfach Musik. Sie entscheidet sich für Geschichte, weil sie auch gerne mit Sprache arbeitet und das Lesen ihre zweite Liebe neben der Musik ist. Den spielerischen Umgang mit der Sprache zeigt sich auch noch heute: Im Song «Easy Way Out», ihre erste Veröffentlichung unter Cori Nora anfangs 2023, braucht eine Person mit ihren unendlichen und unzähligen SMS so viel Platz im Leben des fiktionalisierten Ichs, dass dieses frei übersetzt sagt «da könnte ich genauso gut zwei Pferde halten». Das ist lustig, aber so präzise in warm-melancholischem Sound und Text eingebettet, dass der Song nichts an Dringlichkeit einbüsst.

Wir überqueren den Rhein auf der Wettsteinbrücke, der Wind ist verdächtig mild für Januar, der Blick schweift in die Ferne. Im Jahr 2019 zog Huber mit einem Atelierstipendium des Kuratoriums nach London. Der Kontextwechsel in der Metropole schafft ihr einen neuen Zugang zu ihrer Arbeit. Sie entschliesst sich, dort zu bleiben. Im Jahr 2020 wird das Haus, indem sie zu jenem Zeitpunkt wohnt, verkauft. Huber kommt für einige Monate zurück in die Schweiz nach Basel – ins Gästeatelier des Werkraums Warteck. Während das öffentliche Leben durch die Corona-Pandemie nur eingeschränkt stattfindet, nutzt Huber die Zeit, um nach innen zu horchen und weiterzuarbeiten: «Flowers and Fences» nimmt seine Anfänge. Als die Einreisebedingungen nach London lockern, geht sie zurück, wohnt in einer WG in Clapton in East London und lernt während dieser Zeit auch die Gitarristin ihrer zukünftigen Live Band, Tara Cunningham, kennen. Später stossen ihr Bruder Christoph und Nik Furrer aka Haubi Songs dazu.

Mittlerweile wohnt Huber in Basel. Wir begeben uns zur alten Warteckbrauerei im Wettsteinquartier. Im Turm des Areals thront eine alternative Beiz, aus deren Küche uns der Duft von angedünsteten Zwiebeln und biergetränkten Putzlappen entgegenweht, als wir die Türe öffnen. Schön, dass es einen solchen Ort in diesem schweizerisch heraus geputzten Quartier gibt, denke ich. «London fühlte sich befreiend an. Die Schweiz hat sicher ihre Vorzüge, kann sich aber teilweise auch klein und eng anfühlen. Es tut gut, sich aus dieser Safety Zone herauszubewegen und sich als Teil eines grösseren Ganzen zu verstehen», erzählt sie. Wenn man sich allein irgendwo hineinbegebe und erlaube, sich zu befreien von all den Ideen, die die Leute und man selbst von einem hätten, «dann hat man auch plötzlich die Möglichkeit, das ‘Gefäss’, das man ist, mit neuen Ideen und Konzepten zu füllen.»

Dass das Vergangene zumindest immer als Referenzpunkt bestehen bleibt, klingt an anderen Stellen hervor. Beispielsweise, wenn Huber in Interviews mit Fachmagazinen erklärt, weswegen sie nach all den Jahren, in denen sie bei zahlreichen musikalischen Projekten mitgewirkt hat, nun doch ein Album unter eigenem Namen veröffentlicht: mit «Flowers and Fences» legt die Musikerin ihre eigene Sicht auf die Welt frei und traut sich, diesen Platz als Musikerin auch in Anspruch zu nehmen. Das Album ist ihr bisher persönlichstes Werk, sagt Huber. Es behandelt Themen wie Feminismus, Liebe in Zeiten digitaler Hyperverbundenheit und die Tücken der Touchscreen-Kommunikation. Der weibliche Blick sei in Kunst und Musik noch viel zu häufig unterrepräsentiert. Ihr Album zeigt Alternativen auf und eröffnet neue Narrative – und diese trägt Cori Nora eifrig mit ihrer Band in die Welt hinaus: Im Herbst führte sie die «Flowers and Fences»-Tournee nach England, Deutschland, Paris und in alle vier Landesteile der Schweiz. Normative Kulturauffassungen, wie die jenes Musiklehrers an der Alten Kanti Aarau, haben wohl schon so manche potenzielle kulturelle Bereicherung im Kern erstickt und (junge) Menschen davon abgebracht, ihr schöpferisches Potenzial auszuleben und vor allem: zu teilen. Und vielleicht zeugt ja die Dichte an Kreativitätsratgebern in neonfarbenen Umschlägen viel eher von diesen verpassten Chancen als von einem gesellschaftlich auferlegten Kreativitätszwang. Schön, dass es Menschen wie Huber gibt, die diese Verhältnisse aufmischen.

Neue Narrative für die Welt im Sack: Cori Nora.

ZUR PERSON

Corinne Nora Huber aka Cori Nora (*1986 in Rupperswil) ist Multiinstrumentalistin und spielte schon in unterschiedlichsten Formationen in unterschiedlichsten Ländern.