Unterwegs mit Daniel Bracher
Ich sitze im Atelier von Daniel Bracher in Aarburg und blicke aus dem Fenster, das einen Ausschnitt der Aare freigibt. Wir befinden uns so nah am Wasser, dass von meinem Platz aus der Fluss nicht in seiner ganzen Breite sichtbar ist. Ich denke automatisch an «Panta rhei» und werde mir bewusst, dass ich die Philosophie hinter der Flusslehre eigentlich gar nicht wirklich kenne, mir aber meinen eigenen Reim darauf mache. Dieser Arbeitsort ist der Kreativität bestimmt förderlich. Alles im Fluss, die Gedanken, das Schaffen. Daniel Bracher stimmt mir zu: «Es ist toll hier. Im Sommer sieht man mich oft in Badehosen mit der Kamera auf der Jagd nach Lichtbildern dem Ufer entlanggehen», lacht der 52-Jährige. Lichtbilder – nur eines der vielen Themen in seiner Kunst. «Ich bin ein Hands-on-Typ, der gerne alles ausprobiert, springe auch mal in kaltes Wasser. So entwickle ich mich weiter.» Daniel Bracher lebt sich nicht nur in der Kunst aus. «Ich habe in den letzten gut 30 Jahren schon unzählige Jobs ausprobiert.» Er erzählt, dass er nach seiner Lehre als Fotolithograf – während der er intensiv gefördert worden sei – in die USA reiste, um sein Englisch zu verbessern. Bald darauf arbeitete er für Werbeagenturen oder für Grafiker*innen als Retouchierer. Eine Zeit lang hatte er im Auftrag einer Tabakfirma die Verantwortung für die Umsetzung und Einrichtung diverser Duty-free-Shops weltweit inne. «Dort habe ich viel gelernt über andere Kulturen und über mich selbst», sagt Bracher. Später dann arbeitete er auch mal in einer Wursterei (selbstständig), absolvierte die Weinschule oder verdiente sein Geld als Koch. Letzteres sei streng, aber auch schön gewesen. Mittlerweile ist er nebenbei als selbstständiger Museumstechniker tätig, sein Job und die Kunst halten sich vom Aufwand etwa die Waage. «Museumstechniker managen vom Umbau der Location für eine Ausstellung bis hin zum Arthandling alles. Das ist ein echt cooler Job. Ich bin ständig umgeben von Kunst und ich habe mir inzwischen W viele technische Fähigkeiten angeeignet, die ich auch in meine Werke fliessen lassen kann.» So baut er gerne aus einfachen Mitteln Maschinen. Wie bei seinem pazifistischen Werk, bei dem zwei Pistolen aufeinander gerichtet, aber von zwei Ballonen getrennt sind. Die Ballone berühren sich – ein symbolischer Kuss, der sich stets wiederholt.
HIER! JETZT!
Daniel Bracher ist mit Christina Gähler, Susanne Lemberg und Samuel Peyer – alles Kunstschaffende aus der Region Zofingen – im Kunsthaus Zofingen zu sehen.
ZOFINGEN Kunsthaus, 16.März bis 26.Mai
Während Daniel Bracher von seinem Schaffen erzählt, steht er immer wieder auf und zeigt das entsprechende Werk – unaufdringlich und authentisch. Jedes Mal fragt er, ob ich überhaupt Lust habe, dieses Bild oder jene Maschine anzuschauen. Natürlich habe ich! Sein Ideenreichtum ist faszinierend und passt für mich zu dem, was ich unter Panta rhei verstehe. «Ich habe selten ein kreatives Loch und ständig Einfälle für neue Kunstwerke. Deswegen stehen an einigen Orten Zettelkisten, in denen ich die Ideen sammle.»
Zwischendurch müssen wir etwas lauter sprechen, denn im Raum nebenan übt die Band No Worries – vier Herren im besten Alter – für einen Auftritt am nächsten Tag. Diese Klänge habe ich schon bei meinem Eintreffen vor einer guten Stunde gehört, als ich allerdings auf der falschen Seite des mit Graffiti verzierten Gebäudes stand und den Eingang suchte. Das kreative Chaos hier im Atelier passt zur bunten Fassade. Überall stehen Bilder, Werkzeuge, Dinge. Daniel Bracher weist auf ein Kunstwerk, das er sehr mag, «weil es so einfach ist»: Ein aus einem Rasierpinsel und einem Kälbersauger gebastelter Vogel. «Ich liebe Vögel», lacht Bracher, der in Strengelbach aufgewachsen ist und mittlerweile in Vordemwald lebt. Schon als Kind habe er sich für Kunst interessiert, ohne allerdings zu wissen, was das überhaupt sei. Wie er Kunst denn heute definiere, frage ich ihn. Seine Antwort: «Es ist ein Gefühl, manchmal auch ein innerer Drang.» Er habe schon immer sein Atelier gehabt und sich ausprobiert. Aufgewachsen sei er in einer sehr musikalischen Familie. Einer «volkstümlichen» Familie, wie er präzisiert. «Meine Freunde hörten Rock und Pop und ich musste zu Hause als Kind im Chor mitsingen.» Als Jugendlicher wollte er auf die Kunstschule gehen. «Man hat mir davon abgeraten und heute bin ich froh. Ich wäre noch nicht reif gewesen dafür», erinnert sich Bracher. Die beiden Zweige – die Malerei und seine Ausbildung zum Fotolithografen, prägen ihn und seine Kunst bis heute. Sehr gut sichtbar ist das an seinen Collagen, auf die er seit einigen Jahren einen besonderen Fokus legt: Hier malt er, schneidet aus, klebt neu zusammen. Spray, Pinsel, Schere sind die Werkzeuge, die er braucht. Bücher und eigene Fotos liefern das Rohmaterial. Er nennt seine Collagen «Ursuppenbilder», weil er Szenarien erschafft, die darstellen, wie das ursprüngliche Leben auf der Erde hätte entstanden sein können. Auch mit dem Scanner arbeitet Daniel Bracher gern. «Ich sammle Insektenteile und füge sie neu zusammen. Nach dem hochaufgelösten Scannen entstehen neue Körperschaften. Auch wenn ich im Vorfeld weiss, worauf ich hinausmöchte, mag ich das Zufällige in meinen Werken.»
Der Aargauer hat sich in der Szene bereits einen Namen gemacht. In Zürich und Zug vertreten ihn zwei Galerien, die seine Bilder verkaufen und auch mal Kundschaft zu ihm ins Atelier bringen. Und in der Nähe von Leipzig ist er als Artist in Residence zu Gast. Zudem mietet er seit 15 Jahren mit anderen Kunstschaffenden ein Atelier in Berlin. «Ich kann einfach meine Sachen packen und in diese herrliche Stadt fahren, wo der Pioniergeist, die Freiheit und eine gewisse Rotzigkeit spürbar sind. Das ist manchmal befreiend.» Für seine nächste Ausstellung muss er aber nicht weit reisen: Sie findet quasi vor seiner Haustür statt, im Kunsthaus Zofingen. Nach knapp zwei Stunden verabschiede ich mich zu den Klängen von «No Worries». Die Zeit ist wie im Flug vergangen – oder besser: wie im Fluss.
ZUR PERSON
Daniel Bracher (1971*in Zofingen) lebt und arbeitet in Vordemwald und Berlin. www.bildwandel.com