«This is a Robbery!» ist im Februar im Kurtheater Baden zu sehen. Wir haben uns mit der Autorin und Schweizer Buchpreisträgerin Martina Clavadetscher über Revolution, Arbeitswut und Tarantino unterhalten.
Martina Clavadetscher: Für uns ist noch alles neu und aufregend! Wir besprechen gemeinsam Besetzungen und versuchen, in unserer Zusammensetzung früh verschiedene Blicke auf Themen und Inhalte zu werfen. Wir arbeiten basisdemokratisch, was gleichzeitig aufwendig und bereichernd ist. Jede und jeder bringt sich mit den eigenen Fähigkeiten ein und übernimmt verschiedene Rollen – neun Hirne wissen einfach mehr als zwei. Derzeit bin ich aber etwas aussen vor, damit ich mein Stück, das im Januar uraufgeführt wird, fertig schreiben kann.
Uns ist es wichtig, zeitgemässe, aktuelle Geschichten zu erzählen. Wir verstehen uns als Autor*innen-Theater.
Der kam bereits sehr früh zu mir. Wir mussten für die Bewerbung um die Theaterleitung auch mögliche Stoffe präsentieren. Ich hatte Lust, ein Tarantino-mässiges Stück zu schreiben, in dem es um Rache und Gerechtigkeit geht. Das Thema der Gewalt und die Frage, bis zu welchem Grad sie als Mittel zum Zweck geheiligt werden kann, interessiert mich.
Eine Gruppe junger Frauen entscheidet sich, etwas gegen die ungerechte Verteilung von Wohlstand und Kapital zu unternehmen. Sie stellen sich gegen Traditionen und fordern eine neue Ordnung. Dabei lösen sie eine Bewegung aus, die über soziale Medien Fahrt aufnimmt und sich zu einer globalen Revolution entwickelt. Im Zentrum steht also eine Milliardärstochter, bei der man sich fragen kann, ob es ihr um die Auflehnung gegen das Elternhaus geht, oder wirklich um universelle Gerechtigkeit. Als dann die ganze Unternehmung überbordet, müssen sich die Protagonistinnen fragen, wieviel sie bereit sind zu bezahlen für ein Ideal. Die eigene Sicherheit aufgeben? Menschenleben riskieren? Das klingt ernst, das Stück hat aber viele witzige und ironische Momente.
Ja, ein klassisches Robin-Hood-Motiv. Von den Reichen zu den Armen. Ich habe das nun im digitalen Zeitalter angesiedelt. Hacking spielt eine wichtige Rolle, Followers, der ganze Community-Gedanke. Das Spiel mit der Öffentlichkeit, wie es Anonymous oder Klimaaktivist*innen betreiben. Muss man das System kaputtmachen, um ein Neues zu bauen, oder kann es aus sich selbst heraus verändern? Die Protagonistinnen verfolgen wohl ersteres, da sie erleben, wie der Kapitalismus alles vereinnahmt und umwertet. Das Palästinensertuch kann man im H&M kaufen, Che Guevara ist eine Popfigur auf T-Shirts, die Ablasspapiere beim Fliegen und so weiter. Sie fragen sich, wie weit man gehen muss, bis der Wunsch nach Veränderung wirklich angegangen wird.
Der Aufstand entsteht anfänglich aus der Bieridee einer privilegierten Person. Und langsam wird aus Spass ernst, die Ideale unterwegs zu einer Hülle, einer Phrase. Wird hier Revolution der Revolution zuliebe gemacht, oder wegen der Inhalte? Die ausufernde Gewalt bekommt eine performative Ästhetik, ja eine Eitelkeit. Es gibt Tote, eben wie bei Tarantino.
Wenn Sie das so sagen, merke ich es auch. Es ist viel und ich bin phasenweise auch etwas müde. Irgendwann werde ich schon Pause machen. Auf der anderen Seite bin ich auch süchtig nach Geschichten und Stoffen. Durch Corona mit seinen terminlichen Verschiebungen ist viel zusammengekommen. Ein Buch hat sich verzögert, ich arbeitete schon am nächsten, dann sind beide sehr nahe aufeinander erschienen und es gab viele öffentliche Auftritte. Diese empfinde ich eher stressig, das Schreiben selbst überhaupt nicht.
Ich versuche, das nicht zu machen. Aber es passiert. Ich habe es lieber, wenn sich die Stoffe ablösen, sonst gibt es ein «Gemisch». Aber formal machen mich Abgrenzungen eher unglücklich. Bei mir kann jeder Stoff alles werden, Roman oder Bühnenstück. Auch innerhalb des Werks sind fliessende Übergänge oft anzutreffen.
Ein gewisses Programm versuche ich schon, aufrecht zu erhalten: Am Morgen erledige ich alles Administrative, am Nachmittag schreibe ich. Lesungen werfen mich dabei eher aus dem Rhythmus. Sind aber wichtig für Feedback und den Lebensunterhalt (lacht).
Ich habe nie viel verdient, und mich von Monat zu Monat geangelt. Neben dem Schreiben habe ich eine Weile an einer Schule Deutsch unterrichtet. Dann wurde ich Hausautorin am Luzerner Theater und konnte dank Stipendien vier Jahre unabhängiger Schreiben. Stilistisch und formal habe ich mich dadurch extrem weiterentwickelt. Und für das künstlerische Selbstverständnis waren die Förderbeiträge auch sehr wichtig. Jetzt bin ich wieder Teilzeit angestellt, am Literaturinstitut in Biel. Ich sag es mal so: Ohne Stiftungen und öffentliche Gelder würde es nicht gehen. Vom Bücherverkauf kann man nicht leben. Immerhin sind Lesungen gut bezahlt.
Die sogenannte Work-Life-Balance, das gibt’s bei mir nicht. Das sagt zumindest mein Umfeld. Bei Stress fahre ich mit dem Bus in den Ingenbohler Wald und spaziere. Der Wald beruhigt mich. Der Natur sind meine Probleme egal.
Drei Autorinnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz – das tönt wie ein Witz, aber wir sind eingeladen an ein Theaterfestival, wo wir unsere Stücke präsentieren können und an Workshops und Podiumsdiskussionen mit mexikanischen Theaterschaffenden teilnehmen. Ich gehe extra ein Bisschen früher, damit ich die Dias de los Muertos erleben kann.
Baden Kurtheater, 21. Februar, 19.30 Uhr
Zur Person
Martina Clavadetscher (*1979) studierte Germanistik, Linguistik und Philosophie. Seit 2009 arbeitet sie als Autorin, Dramatikerin und Radio-Kolumnistin. Für ihren Roman «Die Erfindung des Ungehorsams» wurde sie mit dem Schweizer Buchpreis 2021 ausgezeichnet. Seit August leitet Clavadetscher zusammen mit Andrea Brunner, Manuel Bürgin und Maria Ursprung das Theater Marie.
Achtung, Überfall
Martina Clavadetscher überträgt Schillers «Die Räuber» in die Gegenwart. «This is a Robbery!» erzählt vom lustvollen Griff nach der Macht, vom Drang nach Freiheit und den durchlässigen Grenzen zwischen Recht und Unrecht. Ein achtköpfiges weibliches Ensemble erprobt den Widerstand und testet aus, wie es sich anfühlt, wenn das Ideal zum Leitstern des eigenen Handelns wird. Koste es, was es wolle.