Drag-Performances und tätowierte Früchte

Von
Claudio Näf

Tagebuch aus Paris von Claudio Näf

In einem Text lese ich, wie eine Person die Nadel beschreibt, die über ihre Haut wandert, eine Linie führt und ein Wort in ihren Arm sticht: Pédé. Das französische Wort für Schwuchtel. Den gleichnamigen Sammelband habe ich mir in der ersten Woche meiner Residenz in einer queeren Buchhandlung mit dem charmanten Namen «Les mots à la bouche» gekauft. Ich fühle mich angesprochen. Hier drin geht es um mich, um meine Vergangenheit, ich bin Subjekt. Und ich frage mich, ob sich Heteros in jeder Buchhandlung so fühlen, wie ich nun in Paris. Ein bisschen wehmütig bin ich trotzdem, denn zur Schwulengeschichte gehören auch eine Menge Beleidigungen und eine davon lese ich nun in gelber Schrift auf violettem Buchmantel auf dem ersten Regal. Pédé leitet sich übrigens ab vom Wort Pédéraste, was eine spezielle Beziehungsform zwischen zwei Männern im antiken Griechenland bezeichnet. An der Cité des Arts lerne ich schnell andere queere Menschen kennen und komme in Gespräche über die Beleidigungen, die wir kennen – in Chile gibt es das Wort Mostacero, dessen abwertende Bedeutung ich hier nicht erklären möchte. In Algerien nennt man es cent­six, entsprungen aus einem Film aus den 1970ern, in dem zwei Männer Sex in einem Hotelzimmer haben. Schwuchtel wirkt vergleichsweise un­ kreativ.

Diverse abwertende Wörter werden unterschiedlich verwendet, teilweise sogar angeeignet. In einem Café im ehemaligen Schwulenviertel Marais habe ich ein regel­ rechtes Streitgespräch mit zwei neuen Freundinnen darüber, wer das Wort Bitch sagen darf. Ist es berechtigt, sich als schwuler Mann ein solches Wort anzueignen? Welche Macht hat die Sprache, und wie darf ich darüber verfügen? Tatsächlich entdecke ich das Wort in einem Skript, das ich für einen anstehenden Drag­Auftritt vor­ bereitet hatte und ersetze es (etwas widerwillig) mit dem Wort Sissy.

Im August üben wir mit einer Tattoo-­Maschine auf Früchten im Jurasser Studio. Plötzlich kommt mir die Szene in den Sinn, wie sich in meiner Lektüre eine Person das Wort Pédé tätowieren lässt, und ich überlege mir kurz, ob ich das auch machen sollte. Mir gefällt die Szene, weil sie den Akt der abwertenden Fremdbezeichnung nicht nur umdreht in eine Selbstbezeichnung, es wird simultan gezeichnet. Aus einem Wort wird ein Bild, aus dem Bild eine Sprache. Was es bedeutet, das Zeichnen als Bezeichnen zu denken, will ich noch genauer untersuchen. Dass die binäre Geschlechterordnung auch in der Zeichnung spürbar wird, ist mir schon länger bewusst. Doch was passiert, wenn ich nicht mehr als Mann zeichne, sondern als Schwuchtel?

Zeichnen tu ich viel, eigentlich fast jeden Tag. Meistens auf Papier, neuerdings auch auf Orangen und Bananen und ab und zu sogar auf meinem Gesicht. Der zeichnerische Akt verändert sich massgeblich, wenn ich vom Fineliner zum Lippenstift wechsle und mich nicht mit Tinte, sondern mit Make­up auf der Haut brandmarke. Im Gegensatz zu Tattoos bin ich aber doch froh, kann ich dieses nach meinem Auftritt wieder wegwischen, mich erholen und Pause machen. Danach widme ich mich wieder meinen Projekten, einem Comic­Buch, einer Zeichnungs­Serie und einem Abendessen, an dem ich alle Menschen einlade, die ich bisher kennengelernt habe.

CLAUDIO NÄF

ist Illustrator und Künstler. Seine Arbeiten sind derzeit im Forum Schlossplatz in der Ausstellung «Let’s fêtes galantes» zu sehen.

AARAU Schlossplatz, bis 7.Januar