Sounds

Ein König kommt ins Royal

Interview
Philippe Neidhart, Michael Hunziker

Hip-Hop-Pionier EKR.

Das Rap-Urgestein EKR hat sich jüngst mit neuem Album zurückgemeldet. Wir haben uns mit ihm über das Hip-Hop-Onkel-Sein, allgemeine Esoterik und das neue Album unterhalten.

EKR, du trägst oft Steine mit dir rum. Hast du heute auch einen dabei?

Natürlich. Einen Kristall. Die Steine haben verschiedene Wirkungen, beeinflussen Schwingungen, Energien, deshalb habe ich gerne einen dabei. Und ich verschenke sie auch immer wieder.

Denkst du, es braucht mehr Magie im Alltag?

Kann sicher nicht schaden. Es ist ja kein Zufall, dass die Pharaonen und die Inka-Könige sich mit Gold geschmückt hatten. Wenn ich zum Beispiel zuhause auf meinem Goldthron sitze, sind meine Gedanken extrem verstärkt. Aber ja, jetzt schweifen wir sauber ins Esoterische ab.

Hat diese Tendenz zum Übersinnlichen mit dem Alter zu tun?

Nein, lustigerweise nicht. Ich glaube, ich stehe heute einfach mehr dazu. Bereits als Jugendlicher war ich auf Sinnsuche. Die Antworten aus Schule und Religionsunterricht auf die grossen Fragen haben mich einfach nicht befriedigt. Was ist Bewusstsein, was ist das Selbst, warum sind wir hier? Ich persönlich finde das Höhere oder das grosse Ganze eher in der Natur als in einem absurden Konstrukt von alten Männern, die sich an Macht klammern.

Als Jugendlicher bist du in Wettingen von der Schule geflogen. Welche Rolle spielte eigentlich der Rausschmiss bei der Sozialisation als Künstler?

Vielleicht besteht da schon indirekt ein Bezug. Ich besuchte danach eine Schule in Zürich mit Lehrpersonen, die Erfahrung mit sogenannten Problem-Kindern hatten. Dadurch war ich die ganze Woche hindurch in Zürich und kam in Kontakt mit der kleinen Hip-Hop-Szene. Zudem wurde dieser Kreis an Leuten für mich wie eine Familie und gab mir, dem etwas verlorenen Jugendlichen, Halt.

Du warst in den 1990ern ein Pionier für den Hip-Hop in der Schweiz. Heute bezeichnest du dich als Hip- Hop-Onkel. Wie hat sich das Rap-Schaffen eigentlich verändert?

In den 1970er- und 1980er-Jahren war Hip-Hop eine Aktivkultur, an der sich alle beteiligt haben, mit Breakdance, Graffiti, DJ-ing, Rap. Dann kamen die Nuller-Jahre und der Anteil an Konsumenten, die nicht direkt involviert waren, vervielfachte sich. Hip-Hop wurde ein Riesenphänomen, auch marktwirtschaftlich. Ich würde sagen, das ist bis heute so. Viele hören zwar Hip-Hop, kennen aber die Geschichte dahinter nicht. Muss man ja auch nicht. Hip-Hop ist heute eine Musikrichtung unter vielen anderen und hat sich losgelöst von der Kultur. Für uns ging es um Rebellion, Underground. Es war mehr, als bloss eine Band cool zu finden. Früher musste man sich richtig damit befassen, sonst kam man gar nicht an die Infos ran. Hip-Hop ist nicht 24 / 7 über die Kanäle gelaufen. Das ist erst passiert, als die Major-Labels das finanzielle Milliarden-Dollar-Potenzial von Hip-Hop erkannt hatten. Die machten aus Rap einen kommerziellen Halligalli-Porno-Zirkus, bei dem es darum geht, Autos oder teure Champagner zu verkaufen. Es widerspricht komplett dem Grundgedanken von Hip-Hop, dass irgendwelche weisse Menschen auf St. Tropez von dieser Kultur noch reicher werden. Hip-Hop ist eine Anti-Establishment-Kultur. Und es macht überhaupt keinen Sinn, dass Tommy Hilfiger sich bereichert. Oder Gucci oder Louis Vuitton.

Welchen Rat würdest du heute als Hip-Hop-Onkel dem jungen EKR mitgeben?

Mach einfach! Tu es!

Und jungen Rap-Schaffenden?

Das gleiche, ja. Do it. Ich sage ja nicht, früher war alles besser und richtiger. Ich bin nicht in den 80er-Jahren hängen geblieben. Ich freue mich zu sehen, wie Hip-Hop trotz dem Kommerz lebt und sich entwickelt.

Eines deiner Ad-Libs ist «Hässig!». War und ist Rap für dich auch Ventil, um Unzufriedenheit mit dem System abzulassen?

Ja sicher. Kunst ist doch immer ein Ventil. Wobei die Wut sich nicht immer auf die Gesellschaft als Ganzes beziehen muss. Sie kann auch mit einem selbst zu tun haben, den Nachbarn, der Beziehung, dem Arbeitgeber. Deshalb bin ich immer noch so verliebt in die Hip-Hop-Kultur. Sie bietet gerade für Jugendliche so viele Möglichkeiten, um Energie umzuwandeln. Hip-Hop ist ja nicht von ungefähr aus der Gewaltprävention entstanden, als sich die Gangleader in New York sagten, es kann doch nicht sein, dass wir uns wegen einer Strasse, an der uns kein Steinchen gehört, gegenseitig abstechen. Lasst uns die Konflikte in den Tanzhallen ausbattlen, und danach gehen alle friedlich nach Hause.

Als 23-Jähriger hat dich Hip-Hop auf eine Reise genommen, die bis jetzt andauert. Du hast erst in New York, dann mehrere Jahre in London gelebt, bevor du in den Nuller-Jahren wieder nach Zürich zurückgekehrt bist. Wie blickst du auf die Odyssee?

Ich möchte auf jeden Fall nichts missen. Alle extrem guten und extrem schlechten Erfahrungen. Gerade in diesen Jahren waren diese Städte schon noch wie wilder Westen gewesen und es lief nicht immer geschmeidig. Ich will es jetzt auch nicht zum Gangster-Film malen, aber du konntest damals in Brooklyn nicht einfach mit einem Croissant in der Hand herumlaufen oder in Queens ein schwedisches Möbel kaufen. In London habe ich als Soundingenieur in einem Studio gearbeitet, und konnte während der Grave-Yard-Schicht nach 22 Uhr an meinen eigenen Sachen rumwursteln. Oft bin ich die ganze Nacht dortgeblieben. Zusätzlich habe ich mich mit Bar- und Brotjobs über Wasser gehalten.

1995 erscheint dann das erste Album von dir. Es gilt als das erste Mundart-Hip-Hop-Album.

Ja, obwohl die Plattenfirma zwei Jahre darauf rumsass, war es immer noch das erste (lacht). Mit einer Veröffentlichung hatte ich da schon gar nicht mehr gerechnet. Ich hatte mit denen einen Bandübernahme-Deal gemacht, weil ich das Geld brauchte. Der Typ hat mir ein Couvert in die Hand gedrückt und ich ihm das Mastertape. Immerhin ein fünfstelliger Betrag. Ich habe in New York und London nicht nur gelernt, wie man Musik macht, sondern auch, wie man sie vertickt (lacht). Ich war schon davon überzeugt, dass das Album einmalig ist und dass es auch seinen Wert hat. Es wurde dann zu einem langsamen Brenner und einzelne Songs kamen erst später in die Rotations der Radios.

Fast forward in die Gegenwart: Zwischen deinem letzten Album und dem neuen Werk «Blaus Bluet» liegen acht Jahre – hast du eine Pause gebraucht?

Ich habe das nicht bewusst gemacht, es hat sich einfach so ergeben. Allerdings finde ich den ganzen Medienzirkus und die Promo, die zu einer Veröffentlichung gehört, extrem unsexy – für mich ist ein Fotoshoot oder Videodreh ein Horror. Ich bin dann schon froh, wenn das vorbei ist und habe keinen Bock, mir das ein halbes Jahr später nochmals anzutun. Dazu kommt, dass ich immer sehr viel Herzblut in ein Album stecke und konstant das Gefühl habe, dass ich noch mehr schreiben muss, und am Schluss sind es fast schon Doppelalben. Nach so einem Prozess habe ich gar nicht mehr gross etwas zu sagen. Dann brauche ich erstmals Zeit, um wieder Neues zu erleben und dies zu verarbeiten, um wieder Material zu haben. Einfach wieder acht Tracks zu schreiben, in denen ich darüber rappe, dass ich der Beste bin, kann ja witzig sein, aber ich finde, man sollte schon etwas zu sagen haben.

Andere Künstler*innen droppen einfach alle 2 – 3 Monate eine Single, um im Gespräch zu bleiben ...

Acht Jahre Pause sind schon krass. Aber ich gehe davon aus, dass jemand, der sich halbwegs mit Schweizer Hip-Hop auseinandersetzt, mich kennt – was ja eigentlich ein grössenwahnsinniger Gedanke ist. Aber klar, wenn man in kleineren Abständen Sound releast, ist das womöglich sinnvoller. Aber du hast vielleicht ein paar Jahre deinen Lauf, fünf Alben rausgeknallt und dann wird es einfach langweilig. Vielleicht konnte ich deshalb über dreissig Jahre relevant bleiben – natürlich nicht konstant, aber wenn ich ein neues Album brachte, bekam ich das Feedback, dass ich etwas Wertvolles geschaffen habe. Andererseits ist es auch eine Geldfrage:
Du investierst in jedes Release extrem viel, hier ein Fototermin, da ein Videodreh, dann noch ein Interview, und am Ende des Monats musst du schauen, wie du die Miete zahlst.

Sich Zeit für sich selbst zu nehmen, darüber rappst du ja auch im Song «Lied für mich». Ist das etwas, das du für dich lernen musstest?

Ja, definitiv. Ich habe zwar schon immer dafür geschaut, dass es mir gut geht. Aber trotzdem habe ich zu viel Energie aufgewendet, um den Erwartungen von aussen gerecht zu werden – sowohl in der Musik als auch in Beziehungen. Irgendwann habe ich dann eingesehen, dass ich mehr auf mich selbst schauen muss. Das ist keinesfalls egoistisch gemeint: Wenn man es nur den anderen recht machen will, macht man es sich selbst nicht mehr recht und am Ende macht man es dann niemandem mehr recht. Wenn ich den Clown spiele, um die anderen happy zu machen, dann habe ich mich verloren.

Im Track «Zeiche vo de Zit» betreibst du System- und Gesellschaftskritik. Da sagst du: «Es System macht kabutt, Macht macht korrupt, und es blibt au schinbar so, obwohl’s jede weiss». Sind wir einfach zu bequem oder zu abgelenkt, um etwas an diesem System zu ändern?

Irgendwie scheint es so, ja. Vor einiger Zeit habe ich in einer Fachzeitschrift einen Artikel gelesen, der sich mit Massenmedien beschäftigte. Darin wurde die These aufgestellt, dass je mehr wir informiert sind, desto weniger empören wir uns über Krisen. Denken wir zurück an die 80er-Jahre, an die Krawalle und Unruhen. Die Leute waren aufgebracht, gingen auf die Strasse und schmissen Steine, waren empört über Ungerechtigkeiten. Heute werden wir ständig von schlechten News berieselt, wir lesen jeden Tag von Chemieunfällen, korrupten Politikern, regen uns kurz auf und blättern weiter zum Sport- und Kulturteil. Mit all den asozialen Medien sind wir überinformiert über irgendwelchen Müll, sind halb taub am Rumtummeln, ernähren uns in einer Fastfood-Kette, obwohl wir wissen, dass es Dreck ist.

Wir sollten also unseren Medienkonsum hinterfragen ...

Es ist ein Hochseilakt – ich bin auch gerne informiert und will nicht einfach wegschauen, musste aber feststellen, dass ich zu viel Zeit verblödelt hatte auf Twitter und habe das App nun gelöscht. Ich träumte von schrecklichen Bildern, die ich dort gesehen habe. Es war zu viel Information und ich fühlte mich ohnmächtig. Vielleicht ist das aber genau das Ziel, uns mit den sozialen Medien in einen Halbschlaf zu versetzen – dann gehen wir arbeiten, konsumieren, gehen Schlafen und am nächsten Tag wieder das Gleiche.

Nochmals zurück zur Musik: Du produzierst fast alle deine Beats selber, siehst du dich mehr als Produzent oder mehr als Rapper?

Mittlerweile mache ich beides gerne. Aber ich würde gerne mehr produzieren, das macht mir schon extrem Spass. Allerdings gibt es schon einen riesigen Unterschied zwischen Beat Maker und Produzent. So fände ich es auch mal spannend, für eine Rockband ein Album zu produzieren – ich hoffe, es ergeben sich in der Zukunft Möglichkeiten dafür. Ich glaube auch, dass mein neues Album viel musikalischer ist als die Vorgängerplatten.

Stimmt, andere Rapper*innen aus deiner Generation verwenden oft klassischen Boom-Bab-Sound, deine Beats auf dem neuen Album kommen richtig fresh daher.

Ich lebe ja auch im Jetzt und höre aktuelle Musik – klar liebe ich die Golden Era, aber gleichzeitig sehe ich keinen Sinn darin, etwas zu machen, bei dem man, wenn man es hört, sich nicht sicher ist, ob es aus den 90er-Jahren stammt. Wir haben neue Technologien, neue Möglichkeiten, zudem mag ich die Klarheit der heutigen Sounds. Beim neuen Album wollte ich deshalb etwas machen, was zwar den Funk hat, quasi den Bap vom Boom Bap, aber von der Soundästhetik her sollte es modern klingen.

In einem Interview sagtest du mal, dass du einen Track wie «Oh Susi» heute nicht mehr schreiben würdest – wieso das?

Hey, das war eine andere Zeit. Ich habe mir beim Schreiben keine tieferen Gedanken gemacht. Ich dachte damals, das Lied würde vielleicht von 200 Leuten im dem Hip-Hop-Kuchen gehört, von Leuten, die auch Sachen wie Pharcydes «Ya Mama» hören. Es war der Versuch, diese US-Kultur des «Snapping», also sich mit absurden Kommentaren über Mütter von anderen lustig zu machen, ins Schweizerdeutsche zu übertragen. Oftmals werden solche Snaps mit einer Retourbeleidigung beantwortet. Damals fand ich den Track recht lustig, aber natürlich habe ich ihn nie geschrieben, damit er benutzt wird, um irgendein Mädchen in der Schule fertigzumachen. Das war nie meine Absicht.

Ist Eki also woke geworden?

Woke ist ein lustiges Wort. Ich glaube, ich bin immer ein anständiger Mensch gewesen. Ich habe nie Leute grundlos beleidigt – ok, eine Zeit lang schon. Aber dann habe ich gelernt, dass man das nicht macht. Das ist nicht meine Art, einfach jemanden fertig zu machen. Ich habe gewisse Wörter benutzt, die ich heute nicht mehr benutzen würde. Es war eine andere Zeit und wir hatten gewisse Begriffe unwissend und unüberlegt benutzt. Wir hatten Leute als «behindert» oder «schwul» bezeichnet – völlig dumm und fehl am Platz. Und ich kann das auch nicht schönreden mit «früher war das keine Beleidigung», denn das war es damals schon, nur haben wir es nicht gecheckt, dass wir andere beleidigen.

Und doch gibt es Leute, die sagen, eine solche Sprache gehöre zum Battle Rap, zur Hip-Hop-Kultur ...

Ich war immer der Überzeugung, dass ich Erwachsenenmusik mache – und Erwachsenenunterhaltung darf auch gewisse sexuelle Inhalte haben, ich darf in einem Lied eine Schiesserei beschreiben. Vergleichbar mit einem Werk von Tarantino, einem Zombie- oder Pornofilm – da gehe ich auch davon aus, dass jeder sinnvolle Mensch sich das nicht mit seinen Kindern anschaut. Aber ich finde, solche Filme dürfen existieren. Es darf auch Bücher geben, in denen Gewalt im Detail beschrieben wird, und wenn du das nicht lesen willst, dann kauf dir ein Globibuch.

ZUR PERSON

EKR (*1970, Akronym für «Ein König regiert») wuchs in Wettingen auf und lebt in Zürich. In den späten 80er- und frühen 90er-Jahren brachte er mit Radiosendungen Hip-Hop in die Schweiz. Als DJ, Beatproduzent und Mundart-Rapper wurde er zum Wegbereiter einer ganzen Generation Rappschaffender. Sein neues Album «Blaus Bluet» ist im Juni erschienen.

BADEN Royal, Fr, 4. Oktober, 22 Uhr