Tagebuch aus Buenos Aires von Nik Fischer
Seit sieben Tagen bin ich nun hier in Buenos Aires. Die Luft ist nicht ganz so gut, dafür hat’s keinen Hochnebel. Und es ist heiss. Tropisch heiss. Die Einheimischen sagen alle im Chor: Es ist anders als früher. Es ist tropischer im Sommer, die Winter sind weniger kalt. Doch ihr neuer Präsident meint, die Klimakrise sei erfunden. Nun, denn. In den nächsten Wochen und Monaten wird noch viel passieren, denn die neue Regierung bringt so ziemlich alles durcheinander, und das mit Ankündigung. Gestern, bei einem Bier in der Stadt, wurde mir gesagt, dass das Land spätestens in zwei bis drei Monaten explo diere. Hoffen wir’s nicht. Die Bevölkerung leidet aber schon lange. Rund die Hälfte der Gesellschaft lebt in Armut, 2023 betrug die Jahresinflation über 200%. Und die Aussichten sind alles andere als rosig. Beim neoliberalen Kurs der Regierung wäre es denn nicht überraschend, wenn die unteren und mittleren Schichten der Gesellschaft noch mehr gequält werden. Ein gut vernetzter Kurator sagte mir, es verändere sich für das Kulturschaffen wahrscheinlich nicht viel. Der staatliche Kulturfonds «Fondo Nacional de las Artes» hatte 2019 ein Jahresbudget von gerade mal dreieinhalb Millionen Franken. Die Kulturszene finanziert sich schon seit Langem mehrheitlich von selbst, über private Stiftungen und Geldgeber, seltener auch über Kulturförderungsprogramme anderer Länder. Sie ist dadurch finanziell immer unter Druck, dafür aber auch frei, sehr kreativ und nicht weniger politisch. Und schon nach einer Woche kann ich sagen, dass Kultur hier gelebt wird und überall präsent ist.
Und ich? Ich habe das Privileg, dank dem Atelierstipendium der Stadt Baden in das Gewusel der argentinischen Metropole eintauchen und das Land bereisen zu dürfen, und kann mich während einem halben Jahr ganz meiner Kulturrecherche widmen. Dabei möchte ich der soziokulturellen Bedeutung von Residenzprogrammen und der Kulturvermittlung nachgehen, der vorausgehenden Haltung beim Kuratieren von kulturellen Projekten, aber auch der Bedeutung von Klang. Buenos Aires schläft nie, irgendetwas klingt immer. Und alles, was klingt, beeinflusst uns. Bewusst und unbewusst. Aber inwiefern? Zum Glück bleibt mir noch ganz viel Zeit.
ZUR PERSON
Nik Fischer (*1977) ist Kulturvermittler und in Baden aufgewachsen. Er hat zahlreiche Kulturprojekte initiiert und mitbegründet, u.a. das Freiluftkino Baden und das Musikfestival One Of A Million. Bis vor seinem Atelierstipendium hat er für die Stiftung Klangwelt Toggenburg gearbeitet und dort zahlreiche Kulturveranstaltungen an der Schnittstelle zwischen populärer und traditioneller Musik mitkonzipiert, organisiert und kuratiert. Er ist Mitbesitzer der Musikagentur Glad We Met und Vorstandsmitglied der Swiss Society for Acoustic Ecology (SSAE).