Die Eva-Seck-Kolumne
Josettes Salon befindet sich im Parterre eines Wohnblocks. Eine Frau mit stilvoller tête rasée zahlt gerade, als ich reinkomme und verlässt unter Koseworten den Salon. Josette saugt mit dem Dyson nachlässig Haare vom Boden auf und winkt mich auf einen Stuhl. Eine andere Frau unter der Trockenhaube hält stoisch den Kopf gesenkt. Josette spottet über meine kaputten Haare, die hätten wohl jeden Tag um Hilfe geschrien, lacht sie und schlingt nach dem Waschen ein Handtuch um meinen Kopf. Jetzt zum Sitz vor dem Spiegel, überall stehen ausgepackte Boxen herum, an der Raufasertapete hängen kleine Haarkringel. Die Frau unter der Haube schaut noch immer nicht auf. Ich sehe, sie liest. Das Dröhnen der Haube stoppt abrupt. Josette wendet sich der anderen Kundin zu, nur fünf Minuten chérie, sagt sie zu mir, während ich zur Jazzmusik, die aus der Box klingt, mit den Füssen wippe. Josette löst die Lockenwickler der Frau und zückt das Streckeisen. Mit einem Kamm zerrt sie das Haar glatt, bevor sie es mit dem Eisen bearbeitet.
Josettes Telefon klingelt, sie nimmt ab, klemmt das Handy zwischen Wange und Schulter, kämmt weiter, spricht schnell auf Französisch, lacht ihr kehliges Lachen, hängt auf. Die Frau liest einfach weiter. Ihre Haare werden glatter und glatter, bis sie zu einem hübschen Fifties-Bob zurückgekämmt sind. Als der letzte Bürstenstrich getan ist, klappt die Frau ihr Buch zu, bedankt sich auf Englisch, geht zum Tresen, kramt Scheine hervor. Josette tippt auf der Kasse herum und beisst in ein Croissant. Die Frau mit dem Buch verlässt den Salon und Josette wendet sich wieder mir zu, Locke um Locke fällt auf den Boden, der Stuhl quietscht und ich feiere heimlich die Anmut im Alltäglichen.
Eva Seck (*1985 in Rheinfelden) schreibt Lyrik, Prosa und essayistische Texte. Ihr letzter Gedichtband «versickerungen» erschien 2022 im Verlag die brotsuppe in Biel. Sie lebt mit ihrer Familie in Basel.