Editorial

Held*innen im Nahraum

Von
Michael Hunziker

Der Gedanke, ja der Wunsch, heute die Welt zu verändern, so richtig grundlegend, kann nicht als jugendlicher Leichtsinn abgetan und schon gar nicht als Grössenwahn verworfen werden. Nicht nach den Ereignissen der letzten zwei, drei Jahre. Es leuchtet den meisten ein, dass wir uns als Menschheit (ja, wir hängen alle mit drin) etwas in Schieflage gebracht haben. Leben in der Schräge. Langsam gerät der zivile Boden, auf dem wir so sicher stehen, ins Rutschen. In der Masse scheinen wir immer das Übel vor dem Guten zu wählen. Oder in Apathie dahinzudämmern. Okay, Letzteres ist auf eine Art nachvollziehbar: Die Ohnmacht gebiert selten Held*innen. Aber sie tut es! Umso faszinierender ist es, wenn wirklich ein Mensch wagt, sich zu exponieren, zu opponieren, für eine gute Sache zu kämpfen, aufopferungsvoll, glühend. Klar, erst kommen die gesellschaftliche Häme, der Zynismus, das Gelächter, die Ausgrenzung. Dann dreht der Wind, schleichendes Interesse, erste Follower*innen, Netzwerkeffekt, wachsende Anerkennung und letztlich die komplette Verblendung in einen Starkult, der meistens Ausdruck des kompletten Missverstehens ist (die Heldin will ja keine Follower, sondern Mitstreiter*innen). Und die Heldin, naja, die macht einfach weiter ihr Ding, wenn sie nun immer noch eine Heldin ist. Das ist quasi die Dialektik der Held*innenreise im Schnelldurchlauf. Dies sollte aber niemanden davon abhalten, erste Schritte im Kleinen zu unternehmen, im eigenen Nahraum anzusetzen.

Dem Mythos der Held*innen nimmt sich derzeit das Stadtmuseum Aarau an. In der Ausstellung «geliebt, gelobt, gehypt» wirft es einen Blick auf die visuellen Repräsentationen von Held*innen, auf die medialen Konstruktionsweisen hinter den Stars, Kindheits- und Jugendidolen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen unsere Träume, selten bis nie gesellschaftliche Umwälzungen, anreg(t)en. Wäre von Vreni Schneider, Roger Federer, Britney Spears & Co. etwas gar viel verlangt. Obwohl … Einen Essay der Ausstellungsmacherinnen lesen Sie auf Seite 20.

Das Gegenteil von Ohnmacht ist die Ermächtigung. Der Kulturdünger stellt für junge Kunst- und Kulturschaffende finanzielle Mittel zur Verfügung, damit sich ihre Ideen entfalten und eine Öffentlichkeit finden können. Bereits seit 35 Jahren gibt es die Förderinstitution, die viele Kreative in ihren ersten Schritten auf ihrem künstlerischen Weg bestätigte. Ohne den Dünger gäbe es vielleicht den Heidifilm von Alain Gsponer mit Bruno Ganz nicht – wie das alles zusammenhängt, lesen Sie auf Seite 26.

Einen öffentlichen Freiraum, in dem Begegnungen und kulturelle Formate stattfinden können, kaufen sich Monat für Monat die Aktivist*innen des Kulturlokals Royal in Baden mit ihrem grossen Engagement. In den letzten 13 Jahren ist aus der erkämpften Zwischennutzung ein breit abgestützter Kulturbetrieb geworden. Nun erhalten die Royalisti den Anerkennungspreis des Aargauer Kuratoriums. Er würdigt nicht nur ihr diverses und inklusives Programm, sondern indirekt auch den held*innenhaften Einsatz in den Mühlen der Bürokratie gegen eindimensionales Profitdenken (das Royal hätte einst Parkplätzen weichen sollen).

Das liebe gute Büro, es ist mit seiner Logik längst in unsere Körper und in unsere Hirne eingedrungen. Sämtliche Lebensaspekte sind durchökonomisiert, wie Simona Pfister auf Seite 28 schreibt. «Einfach mal kein Büro aufmachen» könnte man in dem Sinne subversiv verstehen: Chaos zulassen, Frühling und Menschlichkeit feiern.