Unterwegs mit Leon Schwitter
Im Alter von sechs Jahren drehte Leon Schwitter seinen ersten Western. Und mit zwölf kaufte er sich mit seinem Taschengeld eine eigene Kamera. Sein Traum, das zu werden, was er heute ist – Regisseur, Produzent und Drehbuchautor – war seine Motivation, um die Matura zu bestehen. «Ich wollte unbedingt Film studieren, aber dafür brauchte ich einen entsprechenden Abschluss», lacht er. Schon immer liebte er es, ins Kino zu gehen, auf eine «audio-visuelle Reise», wie er sagt. Sehr früh las er bereits Bücher über Making-offs und schaute Videos dazu. Dass er gleich bei seinem ersten eigenen Langspielfilm – dem heiligen Gral der Branche – einen Exploit schafft, hätte er höchstens zu träumen gewagt. Er nimmt denn auch den Erfolg, den er mit «Réduit» im In- und Ausland (Festivals in Argentinien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Mexiko und den USA) feiert, nicht als selbstverständlich. Das merke ich schon sehr bald während unseres Gesprächs in einem Café im Zürcher Kreis 4. Seine Bescheidenheit ist nicht aufgesetzt. Ich mag die unaufgeregte Art, mit der er mir von seiner Tätigkeit erzählt und mich so ganz nebenbei in eine andere Welt entführt.
Finanzielle Unterstützung von der staatlichen Kulturförderstellen zu erhalten, sei schwierig bis unmöglich, wenn man noch keinen Langspielfilm gedreht habe, sagt der Filmemacher. «Aber das Aargauer Kuratorium hat uns sehr geholfen, und dafür bin ich extrem dankbar.» Besonders an «Réduit» ist, dass Schwitter nicht nur das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hat. Dieses erste grosse Projekt war auch der Anlass, mit Gleichgesinnten aus der Zürcher Hochschule der Künste selbst eine Produktionsfirma zu gründen. «Wir wollten unbedingt lernen, wie die Branche funktioniert – von A bis Z, und zwar im richtigen Leben, also ausserhalb des Studiums. Mit der Gründung des Sabotage Kollektivs haben wir uns gleichzeitig auch unsere Unabhängigkeit gesichert. Wir sind Freundinnen und Freunde, die zusammenarbeiten, als sogenanntes Cinéma copain / copine». Leon Schwitter erzählt weiter, dass für ihn und seine Mitwirkenden alles Learning by Doing gewesen sei und sie sich auch bei der Zuständigkeit für die Buchhaltung abwechselten. «Dieses Jahr ist das in meiner Verantwortung», lacht er. Die Crew könne so die Bedingungen selbst bestimmen, unter denen gedreht werde. «Wir versuchen, möglichst umweltfreundlich zu produzieren. Anreise mit dem ÖV, wann immer möglich. Drehen an gut durch Tageslicht beleuchteten Orten. Requisiten und Infrastruktur mieten statt kaufen. Und darauf achten, was wir essen», so der Regisseur.
Um seinen Traum verwirklichen zu können, arbeitet er nebenbei als Videotechniker an der Kunsthochschule, beim Schauspielhaus oder dem Theater Neumarkt. Manchmal gibt er auch Seminare an der Hochschule. Er fände diese Nebenjobs überhaupt nicht schlimm, wie er sagt. Denn dadurch behalte er einen offenen Blick für die Welt und gehe der «Déformation professionelle» aus dem Weg. «Dennoch möchte ich natürlich mal vom Filmemachen leben.» Einen ersten «Berg» habe er nun mit seinem jüngsten Erfolg bereits erklimmen und so einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung machen können. «Das gibt uns, dem Sabotage Kollektiv, und natürlich auch mir persönlich eine Perspektive und mehr Möglichkeiten für zukünftige Projekte.»
Inspiration für seine Werke holt sich der 30-Jährige aus dem Alltag – sowohl demjenigen von anderen, als auch seinem eigenen. «Ich bin viel am Beobachten.» Für Réduit zum Beispiel schöpfte er aus seiner Erfahrung als Scheidungskind. In dem Film geht es um eine komplizierte Vater- Sohn-Beziehung – und um noch so viel mehr. Mit wenigen Worten und starken Bildern impliziert der Plot gleich mehrere kontroverse und tiefgreifende Themen. Vom Klimawandel über die Prepper-Bewegung bis hin zur Frage, ab wann Kindesentführung überhaupt eine ist. «Es geht mir allerdings nicht darum, den Zuschauer*innen vorzuschreiben, was sie in dem Film sehen sollen», sagt Leon Schwitter.
Wir brechen auf und spazieren Richtung Langstrasse, wo er wohnt. Ursprünglich in Muri AG aufgewachsen, geniesst er sein Leben im kreativen Zürich. «Ein Blick aus dem Fenster der Wohnung genügt, um so viele Geschichten zu sehen. Es ist auch schön, in der Stadt Gleichgesinnte zu treffen. Viele Menschen denken, man müsse eine Menge Geld haben, um hier leben zu können. Aber es reicht auch, einfach bescheiden zu sein», lacht der Filmemacher. Trotz der Verschiebung seines Lebensmittelpunktes nach Zürich sei er sehr mit dem Kanton Aargau und dessen Kulturszene verbunden: «Ich drehte in meinen Anfängen Videos fürs Kiff oder war zehn Jahre lang Teil der Kulturdünger-Jury. Auch das Kulturhaus Royal in Baden kenne ich gut, wohnte ich doch während meines Studiums zuerst in Baden.»
ZUR PERSON
Leon Schwitter (30, aus Muri) setzte mit seinem Langspielfilm-Debut «Réduit» ein Ausrufezeichen. Er lebt und arbeitet in Zürich.