Das offene Objekt

Ist Freundschaft die bessere Liebe?

Von
Rudolf Velhagen

Weihnachten wird oft als «Fest der Liebe» bezeichnet. Dabei ist kaum eine Beziehungsform so vielgestaltig, so wandelbar und begrifflich so schwer zu fassen wie die Freundschaft. Ob Freundschaft «die bessere Liebe» ist, hängt von den Erwartungen, Bedürfnissen und Wertevorstellungen jedes Einzelnen ab. Fest steht, dass Freundschaften oft dazu neigen, stabiler und langanhaltender zu sein als romantische Beziehungen, die zwar meist intensiver, aber dadurch auch verletzlicher und damit anfälliger für Konflikte sein können.

Dass ein «inniger Bund» auch Freunde vereinen kann, zeigt exemplarisch die Freundschaft zwischen dem Philosophen Michel de Montaigne (1533 – 1592) und seinem Lebensfreund Etienne de la Boétie (1530 – 1563): Montaigne verehrt La Boétie als Autor der «Abhandlung über die freiwillige Knechtschaft» (franz. Discours de la servitude volontaire). Schnell fühlen sie sich geeint in ihrem Plädoyer für Toleranz und kritisches Denken. Als La Boétie in Anwesenheit seines Freundes mit nur 33 Jahren stirbt, erbt Montaigne dessen Bibliothek – ein Schatz humanistischen Wissens, ohne den seine berühmten «Essais» wohl nie entstanden wären. Es erstaunt daher nicht, dass für Montaigne nur die geistige Freundschaft vollkommen sei, während die «geschlechtliche Liebe» ende, sobald sie vollzogen sei. Gefragt nach dem Grund, der ihren Bund so innig gemacht habe, sagte Montaigne: «Weil er er war, weil ich ich war.»

Rudolf Velhagen, Chefkurator bei Museum Aargau, er­ kundet an dieser Stelle die verborgenen Botschaften der Dinge. Nicht weniger als 55 000 historische Objekte aus der kantonalen Sammlung warten auf ihre Befragung.

Die Kraft der Freundschaft ist zeitlos, doch gerade in Phasen des Umbruchs gewinnt sie besondere Bedeutung. Pendule auf Konsole, Aarau, um 1820, Spindelhemmung, 4/4-Stundenschlag auf zwei Glocken, Sammlung Museum Aargau, Inv.-Nr. K-18992