«Kultur macht den Kanton reicher, nicht ärmer!»

Interview
Regula Laux, Vorstandsmitglied des AGKV

«Meine Vision ist, das umzusetzen, was sich der Kanton auf die Fahne geschrieben hat: Aargau, der Kulturkanton.» – Daniel Hertli

Daniel Hertli ist seit September neuer Geschäftsführer des Aargauer Kulturverbands (AGKV). In dieser Rolle wird er die Interessen der Kulturschaffenden und der Kulturinstitutionen gegenüber Politik und Öffentlichkeit vertreten. Zeit für ein Kennenlernen.

Daniel Hertli, wie bist Du überhaupt ein Kulturmensch geworden?

Nach der obligatorischen Schulzeit stand bei mir die Frage im Raum, entweder Richtung Kunst oder Richtung Musik zu gehen. Meine Eltern, ich war erst 16, haben für Kunst entschieden, wohl, weil sie Künstler*innen mit Erfolg kannten und Musiker*innen ohne. So besuchte ich 1991 an der F + F Schule für Kunst und Design in Zürich den Vorkurs und anschliessend bis 1994 die Tagesklasse. Nach einer eher wilden Zeit in Berlin war ich ab 1999 am Aufbau des Studiengangs Grafik­ und Mediendesign an der F + F Schule beteiligt, dann an der Neustrukturierung der F + F. 2003 initiierte ich den Studiengang Film HF und leite ihn seither, seit 2019 in Co­Leitung mit Urs Lindauer. Im Studiengang werden Spielfilme, Dokumentarfilme und Animationsfilme realisiert. Und dann ist da noch Komun, meine Agentur für visuelle Gestaltung in Zürich, in der wir alle möglichen Kulturprojekte für verschiedene Institutionen umsetzen.

Hast Du einen Bezug zum Kanton Aargau?

Ich bin nahe der Grenze zum Kanton Aargau aufgewachsen, und nachdem ich dann 25 Jahre lang in Zürich gelebt hatte, wollte ich raus aus der Stadt. So zog ich 2016 nach Kaiserstuhl. Viele Zürcher*innen prophezeiten mir, dass ich den Umzug bald bereuen würde. Das tue ich aber bis heute nicht.

Ich habe mich schnell eingelebt im Aargau, wurde in den Kaiserstuhler Stadtrat gewählt und machte dort in den vier Jahren bis zum Zusammenschluss der acht Gemeinden wichtige Erfahrungen. In Kaiserstuhl setzte ich meine Aktivitäten fort und bin im Vorstand der Genossenschaft GLIK engagiert. Diese Wohnbaugenossenschaft hat sich voll und ganz der Nachhaltigkeit und Gemeinschaft verschrieben.

Und damit wären wir bei Deiner neusten Herausforderung, dem AGKV. Wieso möchtest Du Dich hier als Geschäftsführer engagieren?

Verbandsarbeit im Kulturbereich ist mein Interessen­ gebiet und ich erachte sie als enorm wichtig! Die Aufgabe reizt mich und ich denke, dass ich mit meinem breiten Erfahrungsschatz vieles bewegen kann. Meine neue Herausforderung habe ich bewusst im Aargau gesucht.

Wo siehst Du kulturelle Unterschiede zwischen Zürich und dem Aargau?

Ich empfinde die Kultur in Zürich etwas stadtfokussiert mit grossen Häusern und oft eher abgeschotteter Kultur.

Im Aargau hingegen findet Kultur fast überall statt, nicht nur in Aarau oder Baden. Doch es gibt noch einige blinde Flecke und die kulturelle Förderung der Regionen ist sicher ein wichtiges Ziel des AGKV. Was ich im Aargau auch sehr schätze, ist die Laienkultur. Obwohl ich die Unterscheidung zwischen Laienkultur und professionellem Kulturschaffen eigentlich nicht mag. Sie basiert darauf, ob jemand Geld erhält oder bereits hat oder kostenlos arbeitet. Ich bin für einen ganzheitlichen Ansatz. Zudem kann ich nicht behaupten, dass professionelles Kulturschaffen in jedem Fall bessere Ergebnisse erzielt. Kultur ist Kultur! So gesehen glaube ich auch nicht, dass sich Kultur an Kantonsgrenzen orien­ tieren soll.

Beurteilst Du also die Förderstrukturen im Kanton Aargau eher kritisch?

Kultur ist etwas sehr Dynamisches, da können die Förderstrukturen oft nicht mithalten. Während etwa Strassen über mehrere Jahrzehnte geplant und gebaut werden, ist Kultur ständig in Bewegung und verändert sich kontinuierlich. Sie ist zwar auch bewusst traditionell, aber vieles orientiert sich am Puls der Zeit. Dafür bedarf es einer dynamischen Förderung, die auf Vernunft und Verstand aufbaut. Zu technokratische Strukturen verhindern oft mehr, als sie fördern.

Bei traditionellen Anliegen mag eine technokratische Struktur sinnvoll sein, aber bei zeitgenössischem Kulturschaffen hinken die Förderkriterien oft hinterher. In unserer schnelllebigen Zeit ist das ein Problem. Der Kanton sollte Strukturen etablieren, die den Anforderungen der Gegenwart gerecht werden können. Andernfalls besteht die Gefahr, dass zwar Fördergelder bereitgestellt werden, sie jedoch nicht an den «richtigen» Stellen eingesetzt werden.

Aber sollte vor der Diskussion über die Verteilung von Fördergeldern nicht grundsätzlich über die Anerkennung des Wertes bzw. der Wertschöpfung von Kultur geredet werden?

Ganz sicher, da gehe ich mit Dir einig. Kultur macht den Kanton lebenswert und ist ebenso unverzichtbar wie Kantonsstrassen. Eine gute Versorgung bedeutet Nahrung und Mobilität, aber auch geistige Nahrung und geistige Mobilität. Der Baustoff der Kultur ist jedoch meist kein Zement, daher lässt er sich nicht in dezimalen Einheiten messen. Letztlich muss sich der Kanton, insbesondere die Politik, mit dem Wert der Kultur auseinandersetzen. Kultur ist neben geistiger Anregung und Mobilität auch ein Wirtschaftsfaktor. Sie bereichert den Kanton, statt ihn ärmer zu machen. Kulturförderung sollte als Investition betrachtet werden und nicht nur als Unterstützung für Kulturschaffende. Es braucht ein besseres Verständnis für die Wertschöpfung der Aargauer Kultur. Dabei sind es nicht nur die Gastronomie, Mobilität oder Bauvorhaben, die direkt von der Kultur profitieren oder sogar von ihr abhängig sind. Es geht auch um die Gesundheit der Gesellschaft.

Und was können die Kulturschaffenden und die Kulturinstitutionen dazu beitragen, dass diese Erkenntnisse wahrgenommen werden?

Kulturinstitutionen und Kulturschaffende sollten akzeptieren, dass sie auch wirtschaftlich denken dürfen und dies – zumindest als Teil des Ganzen – auch sollen, denn Kulturförderung allein ist keine Garantie für das Überleben. Kulturschaffende sollten die Möglichkeit haben und sie sich auch schaffen, aus prekären Verhältnissen herauszukommen. Dafür sollte bei den Kulturschaffenden neben sozialer Absicherung auch unternehmerisches Denken gefördert werden. Aber auch klar ist – wir müssen mit Förderbeiträgen Planbarkeit und Stabilität schaffen, um das zu ermöglichen.

Hast Du persönliche kulturelle Ziele oder gar Visionen?

Eines meiner persönlichen Ziele ist, Kultur zum Alltag zu machen. Wir begegnen Kultur ja bereits überall, nur ist es uns oft nicht bewusst. Die Kulturbubble sollte es gar nicht geben, sondern Kultur sollte so etwas wie ein Netz sein, das sich durch alle Schichten, Altersstufen und Interessengruppen zieht. Aber eben, es sind auch die Themen, die uns etwas wert sein müssen. Ich denke da an den Wandel der Werte: Öko­logie, Nachwuchs, Gleichberechtigung, Inklusion, Versorgung, Teilhabe, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Vernetzung. Das ist ohnehin unser Alltag und Kultur gehört hier dazu. Meine Vision ist, das umzusetzen, was sich der Kanton auf die Fahne geschrieben hat: Aargau, der Kulturkanton! Doch eine Werbekampagne macht noch keinen Kulturkanton – da gibt es noch viel zu tun.

ZUR PERSON

Daniel Hertli (50) ist neuer Geschäftsführer des AGKV. Hertli wohnt in Kaiserstuhl und ist hauptberuflich Co­Studiengangleiter an der Schule F+F.