Tagebuch

Maskierte Klänge: transformative Begegnungen in Paris

Von
Paula Haeni

Tagebuch von Paula Haeni

Meine Ohren pfeifen, ein unfassbarer Lärm hämmert auf mich ein. Auf der Bühne stehen vier Personen, in Schwarz gekleidet, über den Köpfen weisse Masken. Keine menschlichen Züge, keine Empathie, nur Aggression und Wut fliegen mir entgegen. Ich erstarre, meine «Fight or Flight»-Urinstinkte melden sich. Entspann dich, lass dich darauf ein, hör zu! Ich atme tief ein, schliesse die Augen und öffne die Ohren. Und dann umarmt mich die Musik, nimmt mich auf wie ein weiches Kissen, lullt mich ein. Plötzlich höre ich die Vielschichtigkeit und die Nuancen der Klänge, die Interaktionen, das Zusammenspiel und die Vernetzungen und ineinandergreifenden Verwebungen zwischen den Musiker*innen. Die anonymen Gesichter werden nicht lebendiger und die Musik nicht weniger aggressiv, aber die Inhalte sind stark und fesseln mich.

In der Cité internationale des Arts in Paris treffen Kunstschaffende aus allen Sparten und aus der ganzen Welt aufeinander. Gegenüber von mir wohnt Bahar, ein Filmemacher aus dem Iran, der gerne laut traditionelle Lieder aus seiner Heimat singt, zwei Türen weiter schreibt Rose einen queeren Roman und im Erdgeschoss tüftelt Joseph an einer Transducer-Installation mit alten Klaviersaiten. Mittendrin bin ich, arbeite an meinem elektroakustischen Set-Up für Kontrabassklarinette und analoge Effekte und brumme, feedbacke und rausche mit meinen Klängen durch das Gebäude. Daneben improvisiere ich viel, erforsche Musik – allein oder gemeinsam mit anderen. Ich bin viel unterwegs: in Museen und Galerien, in den unzähligen Parks, in den Ateliers anderer Musiker*innen und in Sprachkursen. Abends dann steige ich aufs Fahrrad und fahre zu einem Konzert. Die Bars, in denen die Undergroundszene haust, wirken oft unscheinbar – ich frage mich, ob ich richtig bin. Bis ich über eine enge Treppe hinten im Lokal zu einem getarnten Clubraum komme, die Türe öffne, meine Ohren pfeifen und ich von Neuem einen Teil der versteckten Szene in Paris entdecke.

ZUR PERSON

Paula Haeni (*1992) ist Teil einer jungen Bewegung von Musiker*innen, die die Grenzen über die Genresparten hinweg sprengen und neue Wege gehen. Dabei setzt sie sich mit elektronischer und Neuer Musik auseinander. Sie befasst sich mit tiefen Klarinetten, lässt Bassund Kontrabassklarinette in den Mittelpunkt des Geschehens rücken und entfaltet die Möglichkeiten dieser Instrumente. Daneben unterrichtet Paula Haeni als Dozentin an der Hochschule der Künste Bern. Sie lebt und arbeitet in Baden und Bern. www.paulahaeni.com

Paula Haeni improvisiert und forscht an der Cité internationale des Arts. zvg