Ja, ich habe einen. Erwache ich am Morgen, wacht er auf wie ich. Ich stehe auf, das macht er gleich. Ich gehe aus dem Haus und ins Café, er folgt mir, oder geht neben mir her. Wenn ich mich setze, setzt er sich genauso. Reden kann ich nicht mit ihm. Er redet immer dann, wenn ich, und wenn ich schweige, schweigt er selbst. So er- gibt sich kein Gespräch. Auch sind wir immer einer Meinung. Auf den Fersen ist er mir und macht mir alles nach. Mit seiner Gegenwart verspottet er mein Leben. Zudem greift er neu in meinen Alltag ein. Wenn ich zuhause koche, kocht er neben mir dasselbe, isst dann aber sein Gericht und meines mit. Ich habe abgenommen, seit ich einen Doppelgänger habe. Kürzlich ging ich ins Theater, er sass eine Reihe hinter mir. Als ich in der Pause mit Kollegen sprach, mich kurz entschuldigte und zur Toilette ging – führte er, als ich zurückkam, mein Gespräch. Ich stand nachplappernd daneben und war jetzt an seiner statt an meiner Stelle, während mein Doppelgänger aufblühte. Seit das geschieht, gerate ich ins Hintertreffen mehr und mehr. Bisher war ich der Führende. Ich sagte, wo es lang geht, was wir machen. Damit scheint es nun vorbei zu sein. Jetzt macht er vor und ich eifere nach. Ich kann nicht anders, denn ich bin ja er. Er scheint jedoch zu lernen, während ich nicht mehr vorankomme im Leben. Wie erklärt sich diese Ungleichheit, die zunimmt? Kommt der Punkt, wo er mich überrundet, übertrifft und mir befiehlt? Wer weiss, führt er mich bald an einer Leine aus. Ich plane daher meine Flucht. Doch darüber erzähle ich nichts, es wäre Leichtsinn.
Jens Nielsen wollte ursprünglich die Hundeschule besuchen, wurde dann aber Schauspieler und Autor. Er ist Mitglied der Musikformation SEN-Trio mit Ulrike Andersen und Hans Adolfsen und arbeitet regel- mässig für SRF2 Kultur. Einige seiner Vergehen sind hier aufgeführt: www.jens-nielsen.ch