Der Flüchtende Riaz aus Pakistan hat ein Reh aus dem Stacheldraht gerettet.
Klaus Petrus
Vom Philosophieprofessor zum Fotografen: Klaus Petrus dokumentiert die Menschen hinter den Schlagzeilen, an den Grenzzäunen der Welt und verleiht ihnen eine Stimme. Er gastiert mit seinem Vortrag «Spuren der Flucht» im Kultur- und Kongresshaus Aarau.
Als Philosophieprofessor mit einer Forschungsprofessur habe er eigentlich einen inspirierenden und sicheren Job an der Uni Bern gehabt, erzählt Klaus Petrus. Aber dann habe er sich vor zwölf Jahren die Frage gestellt, ob er bis zur Pensionierung im selben Trott verbleiben wolle. Und sich dagegen entschieden. «Ich musste nicht auf die Suche nach einer alternativen Beschäftigung gehen, denn Fotografie faszinierte mich schon immer. Ich wollte künftig als Journalist arbeiten, Text und Bild miteinander verbinden.» Natürlich, von aussen wirke der Schritt radikal – und das sei er tatsächlich in gewisser Weise auch gewesen, erzählt Petrus. Von der theoretischen Sprachphilosophie mitten ins echte Leben, ins Hier und Jetzt, zu den Schicksalen. Zu Menschen auf der Flucht. Zu Menschen, die in Armut leben. Auch Tiere, die in Massenhaltungen vor sich hinvegetieren, setzte er fortan in den Fokus. Das Bedürfnis, als Reporter und Fotograf Phänomene und Schicksale sichtbar zu machen, die gern von der Gesellschaft im Unsichtbaren gelassen werden, sei organisch in ihm gewachsen.
Der rote Faden von Klaus Petrus’ Reportage-Arbeit ist sein Interesse an Grenzen und Mauern – auch solchen im Kopf. «Wir alle haben Vorurteile und feste Vorstellungen – zum Beispiel davon, wie Menschen am Rande der Gesellschaft aussehen. Dem möchte ich entgegenwirken.»
In seinen Vorträgen zum Buch «Spuren der Flucht», das er demnächst veröffentlicht, zeigt er die Geschichten hinter den Geschichten. Warum nimmt jemand das Risiko auf sich, aus seinem Land zu fliehen? Warum lebt jemand auf der Strasse? «Ich erzähle auch über meine Arbeit und wie ich versuche, meine Reportagen umzusetzen. Was es braucht, bis ich so weit bin, um zu veröffentlichen.» Drei Punkte seien beim gesamten Arbeitsprozess wichtig für ihn: Erstens sei es unerlässlich, sehr viel Zeit in die Reportagen – und damit in die Menschen – zu stecken. «Ich fahre immer und immer wieder an dieselben Orte, treffe dieselben Menschen. Manchmal mehrere Jahre hintereinander. Damit zeige ich den Protagonistinnen und Protagonisten in meinen Geschichten, dass ich mich für sie interessiere und nicht nur aus Sensationslust bei ihnen bin. Denn viele Berufskolleginnen und -kollegen werden nur dann zu ihnen geschickt, wenn sich die ganze Welt gerade für einen Konflikt interessiert, der sie unmittelbar betrifft.» Damit einher gehe auch der zweite essentielle Punkt, den es zu beachten gelte: Glaubwürdigkeit. «Ich halte mich an das, was ich sage.» Nun sei es aber so, dass Menschen meist nur dann etwas von sich erzählten, wenn man sich selbst auch öffne. «Das ist der dritte Punkt: Ich gebe sehr viel von mir preis.» Dennoch versuche er stets in seiner Rolle als Journalist zu bleiben. Kein leichter Balanceakt. «Meistens stehe ich in regelmässigem Kontakt mit den Betroffenen aus meinen Reportagen und auch wenn ich sie während mehrerer Wochen ein Stück weit begleite – bei Flüchtlingen zum Beispiel ihren Fluchtweg mitgehe – bewahre ich emotional professionelle Distanz.» Dennoch verbindet Klaus Petrus mit den Menschen in seinen Geschichten mehr als nur die Reportage. «Irgendwann spricht man nicht mehr nur über die Probleme, sondern auch über ganz normale Dinge wie das Kochen, Träume, den Alltag. Ich mache keine Interviews, ich führe Gespräche.»
Es geht Klaus Petrus vor allem darum, mit seinen Reportagen in einer Zeit, in der gesellschaftspolitisch viele Feindbilder kreiert werden, die Grenzen in den Köpfen etwas zu verschieben.
AARAU Kuk, So, 16. Februar, 18 Uhr
Klaus Petrus betreibt heute statt Sprachphilosophie Aufklärung in Bildern aus den Grenzzonen der Welt.
zvg