Literatur

Mit Literatur gegen den Hass

Von
Monica Cantieni

Monica Cantieni, geb. 1965, Schriftstellerin, wohnt in Wettingen. Ihr Roman Grünschnabel (Schöffling & Co) wurde für den Schweizer Buchpreis nominiert und mittlerweile in sechs Sprachen übersetzt. www.monicacantieni.com

Auf die Bilder des Grauens folgen diese Tage zynische Kommentare, Hasstiraden auf Social Media – das Diskussionsklima verroht. Die beiden Autorinnen Bettina Spoerri und Monica Cantieni riefen Autor*innen zusammen, um gemeinsam mit den Mitteln der Literatur an die Menschlichkeit zu appellieren.

Der 7. Oktober 2023 stellte eine Zäsur dar, wenn es um Ausmass und Bewertung von Gewalt geht. Das Massaker der Hamas an israelischen Zivilist*innen, das blindwütige Morden, die Verschleppungen von Kindern, vergewaltigten Frauen, älteren Menschen und verletzten Männern, zeugte von abgrundtiefem Hass.

Was auf den Terrorakt und die vielfach geteilten Bilder aber folgte, waren erschreckenderweise auch viele Solidaritätsbekundungen: In Berlin wurden Kekse verteilt, um den «Freiheitskampf» der Hamas als gerechtfertigte Aktion zur Befreiung der palästinensischen Bevölkerung zu feiern, und an der Berner Universität bedankte sich ein Dozent des (heute in Auflösung begriffenen) Instituts für Studien zum Nahen Osten in einem Tweet für das Geburtstagsgeschenk des Massakers der Terrororganisation Hamas. Seine Partnerin, Leiterin des Instituts, befand den Tweet in einer ersten Stellungnahme nicht für antisemitisch.

Bestürzend das Massaker und die Bilder von Menschen verschiedenster Couleur, die auf den Strassen den Terrorakt einer Terrororganisation feierten. Europaweit und in den USA. Bestürzend in Folge die Aufrufe zu Gewalttaten gegen jüdische Menschen auf rechtsradikalen Telegramkanälen, was bis anhin ohne rechtliche Folgen geblieben ist. Bestürzend aber auch die immens hohen Opferzahlen in Gaza, die Hälfte davon Kinder. Ebenso bestürzend, die mit Händen greifbare Verunsicherung bei Jüdinnen und Juden und auch bei Menschen nicht weisser Hautfarbe, anderer Herkünfte und Religionszugehörigkeiten oder in der queeren Community. Auch in der Schweiz nahmen digitale wie analoge Übergriffe gegen sie zu. Die Stimmen sind überwiegend laut und schrill. Anstatt einer Farbenvielfalt herrschen Kontraste vor: schwarz oder weiss.

In Deutschland regten sich bald kritische Stimmen gegen den Hass. Hier in der Schweiz blieb es weitgehend still. Wir blieben still; auch wir Autor*innen, die wir dem Wort verpflichtet sind. Die Stille war keine angenehme. Bettina Spoerri wie ich fanden, dass sie nicht angebracht ist. Uns jedoch in dieses Schlachtgetümmel undifferenzierter Meinungsäusserungen zu mischen, kam für uns nicht in Frage. Wir entschlossen uns, mit unseren Mitteln vorzugehen: mit sprachlichen, mit literarischen. Und zwar gemeinsam, in Gruppen lesend – mit je eigenen Texten, die exklusiv für die geplanten Anlässe geschrieben werden würden.

Es sollte sich herausstellen, dass unsere Aufrufe zur Beteiligung am Projekt «Mensch sein | Being human, Writers against hate» bei den Autor*innen Erleichterung auslöste, spontane Unterstützung erfuhr und bei Veranstalter*innen auf grosse Bereitschaft stiess, ihre Häuser zu öffnen.

Unsere Texte entstehen, ohne dass wir auf viele Fragen, die sich stellen, eine Antwort haben. Wir lesen unsere Texte im Wissen, dass sich die Situation lokal und global wieder verändert hat und weiterhin verändern wird: dass einerseits die Ermordeten nicht wieder lebendig werden, die Geiseln immer noch nicht frei sind, dass jüdische Student*innen in Deutschland, aber auch in der Schweiz nicht mehr ohne weiteres ihre Religion zu erkennen geben können, dass andererseits Muslime weltweit unter Generalverdacht stehen, Antisemit*innen zu sein. Wir erzählen, wir lesen im Wissen, dass in diesem wie in jedem anderen Konflikt nur schon eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung leicht zum Tod führen kann, dass Menschen auf der Suche nach Wasser, Essen oder ihren Liebsten sterben. Leid aber hat keine Rangordnung.

Die rechten Ränder und auch Teile der nach rechts gerutschten Gesellschaftsmitte in der Schweiz, in Europa und in den USA machen sich die Polarisierung in Diskussionen zu Nutze und schüren skrupellos Hass gegen diverse Gruppierungen und Minderheiten, um demokratische Werte zu untergraben. Mit unserem Projekt wollen wir die Chance wahrnehmen, unsere offene, demokratische Gesellschaft zu pflegen und für Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten einzustehen. Als Schreibende gehört es zu unseren Aufgaben, genau zu beobachten, zuzuhören und sprachlich zu reagieren. Hass und Polarisierung bieten wir die Stirn. Wir möchten daran erinnern, dass wir Menschen empathische Wesen sind. Wenn es uns gelingt, uns in das Leid von anderen zu versetzen, sind wir befähigt, als Menschen jetzt und auch in Zukunft bedacht und differenziert auf solche Herausforderungen zu reagieren.

GEMEINSAM FÜR EINE HUMANE WELT

Einander zuhören, die Diskussion suchen, das Unerklärbare versuchen mit Worten zu fassen: Das Projekt «Mensch sein | Being human, Writers against hate» macht auf seiner Reise durch alle Sprachregionen der Schweiz Halt im Odeon Brugg. Es lesen neben Bettina Spoerri, Alain Claude Sulzer, Silvio Blatter, Michael Fehr und Jürg Halter aus bisher unveröffentlichten Texten. Auf der Seite www.writersagainsthate.ch finden sich alle Daten und Informationen zum Projekt. mh

BRUGG Odeon, Donnerstag, 18. April, 19.15 Uhr

Bettina Spoerri, geb. 1968, lebt in Zürich, arbeitet als Autorin, Dozentin, Verlegerin. 2019 gründete sie den jüdischen Kulturverein BabelKultur. 2013–2022 leitete sie das Aargauer Literaturhaus in Lenzburg. Vor zwei Jahren gründete sie mit Anne Wieser den Geparden Verlag. www.seismograf.ch