Musik in der Seele

Von
Tanja Lienhard (Text und Bild)

Gesang, Diskurs und Sinnlichkeit sind die programmatischen Schwerpunkte von Pascal Hüppi.

Unterwegs mit Pascal Hüppi

Wir sitzen vor dem Besucherzentrum des Klosters Muri und geniessen die Hitze, die wir hier deutlich spüren. Die Aussenmauer des Gebäudes schützt uns vor Wind und reflektiert die Sonnenstrahlen. Es ist der dritte Tag in Folge mit klarem, blauem Himmel. Meine Lust auf Frühling ist so richtig entfacht. Auch Pascal Hüppi, der neue künstlerische Leiter des Ressorts «Musik im Festsaal», zieht nun seine Jacke aus. Ich erzähle ihm, dass ich erst ein einziges Mal hier an diesem Ort gewesen sei, vor 14 Jahren. An einer kroatisch-freiburgischen Hochzeit mit ganz vielen, heiteren Gästen. «Ich war vor meinem Bewerbungsverfahren noch überhaupt nie da», entgegnet Hüppi. Er sei im Kanton St. Gallen aufgewachsen, wo er inzwischen auch wieder wohne. Und es liege ihm sehr viel daran, Muri und seine Menschen kennenzulernen. «Das ist natürlich Teil meines Jobs – ich möchte verstehen, wer bei uns im Publikum sitzt.»

Zum ersten Mal in Berührung mit klassischer Musik kam Pascal Hüppi bereits als Kind. «Ich sang im Kinderchor Kaltbrunn Sopran und wir hatten viele Auftritte – auch international. » Heute ist er ausgebildeter Bariton. Als Jugendlicher spielte er als Schlagzeuger oft und gerne in Jazzformationen – sein Interesse gilt heute noch vielen Musikrichtungen. «Ich geniesse Musik genreübergreifend. Ich könnte nicht ohne sie leben. Musik ist ein sozialer Akt, man kommt leicht darüber ins Gespräch und sie selbst spricht zu uns. Musik berührt und gibt Denkanstösse.» Aber – und das sagt er deutlich – Pausen zwischen der Musik seien unerlässlich. «Um ein Lied voll und ganz wirken zu lassen, braucht es Stille vorher und nachher. Die Dauerbeschallung, der wir zuweilen ausgesetzt sind, finde ich nervig.» Wie bestellt fährt ein Auto vorbei, die Boxen voll aufgedreht. Auch mir bereiten solche Hintergrundmusik oder Geräusche Mühe, vor allem bei der Arbeit.

In der Kanti setzte Pascal Hüppi auf das Schwerpunktfach Musik, danach studierte er drei Jahre klassischen Gesang an der Hochschule Luzern. Nach einem Zwischenjahr zog er für ein Jahr nach London. «Ich nahm privat Gesangsunterricht bei David Barrell.» Dann, plötzlich, merkte er, dass sein totaler Fokus auf den Gesang ihn einengte. «Ich habe grundsätzlich verschiedene Interessen, denen ich gerne nachgehe. » Es zog ihn weg von dort, in die Schweiz wollte er aber noch nicht. Er versuchte sein Glück in Berlin. «Ich verliebte mich sofort – in die Stadt und in eine Frau», lacht Hüppi. Er begann, Filmwissenschaften und Kunstgeschichte zu studieren, und machte schliesslich mit Philosophie weiter. Was vielleicht etwas nach Unentschlossenheit klingen mag, ist vielmehr seine Suche nach dem, was ihn erfüllt. Und obwohl er seinem Ziel immer näherkommt – in Berlin merkte er, dass er beruflich doch auf die Karte Musik setzen möchte – bezeichnet er sich als «ständig Suchender»: «Ich möchte regelmässig in den Spiegel schauen und mich fragen, ob ich noch im richtigen Zug sitze, oder ob ich nicht besser umsteige.» Während Pascal Hüppi das so selbstverständlich sagt, frage ich mich, ob sich das viele Menschen trauen. Ich finde das mutig. Es geht dabei nicht um das fluchtartige Verlassen eines Jobs, einer Partnerin, einer Lebensart. Es geht darum, genau hinzuschauen, nicht am eigenen Leben vorbei zu leben. «Mein Weg hat mich bisher soweit vorangebracht, dass ich zumindest ganz klar weiss, was ich nicht will.»

Nach seiner Bachelorarbeit an der Freien Universität Berlin, die sich um die frühe Existenz-Philosophie von Martin Heidegger und um Franz Schuberts «Winterreise» drehte, kehrte er in die Schweiz zurück. Er fasste Fuss und gründete mit zwei Freunden das Kollektiv sonolog. «Wir denken zusammen das Kunstlied neu und machen es in Eigenproduktionen künstlerisch erfahrbar.» Pascal Hüppi beginnt daneben, seine gesammelten Erfahrungen im Kulturbereich zu bündeln: mit seinem Entschluss, Kulturmanagement zu studieren. «In Muri kann ich auf alles Gelernte zurückgreifen und die verschiedenen Aspekte der Kultur vereinen. Das ist toll.»

Und noch etwas findet er toll: Das 2027 anstehende 1000- Jahr-Jubiläum des Klosters Muri. Mit der Veranstaltungsreihe «Puls von Muri» bereitet Pascal Hüppi die Menschen auf die Feierlichkeiten vor. Dieses und nächstes Jahr widmet er vier Event-Wochenenden den Emotionen Angst, Wut, Trauer, Freude. «Es geht um Katharsis, die Reinigung der Seele von Erregungszuständen. Das Publikum kann die auch unschönen Emotionen durchleben und sich ihrer entledigen. Die Freude macht den positiven Abschluss. So werden die Zuhörer*innen frei für alles, was kommt.» Beispielsweise für die Schwerpunkte, die Pascal Hüppi in Muri setzen wird: Vor allem Gesang sowie Diskurs und Sinnlichkeit schreibt er gross – und natürlich höchste Qualität. Zudem möchte er neue Formate in Muri ausprobieren, die vom klassischen Konzertsetting abweichen und auch junge Menschen ansprechen. «Dann richtet womöglich sogar Zürich den Blick nach Muri», sagt er mit einem Augenzwinkern.

VON ANGST ZU WIDERSTAND

Im April widmet sich «Musik im Festsaal» dem Themenblock «Widerstand » mit Werken von Schostakowitsch und Weinberg. Dabei drehen sich die verschiedenen künstlerischen Formate um die Frage, inwiefern Angst zu Widerstand führen und eine politische Kraft entfalten kann. Mit den Streichern des Danel Quartetts und der Pianistin Marianna Shirinyan.

MURI Sigisensaal, murikultur.ch
Kammerkonzert I: Fr, 11. April, 19.30 Uhr
Impuls-Gespräch: Sa, 12. April, 15 Uhr
Kammerkonzert II: Sa, 12. April, 19.30 Uhr