Tagebuch

Nest-working in Berlin

von
Levent Pinarci

Tagebuch von Levent Pinarci

Anders als ein Netz ist ein Nest weniger selektiv, da es keine Löcher hat. Während ein Netzwerk sich distributiv ausbreitet, ist ein Nestwerk etwas in sich verknotetes, privates und wird durch kollaborative und gemeinschaftliche Prozesse geschaffen. Wie ein Nest in der Natur, wo sich zum Teil verschiedene Spezies dasselbe Nest einander weitergeben, wird das Atelier immer wieder vom neuen Brütenden besetzt.

Während dem sechsmonatigen Aufenthalt in Berlin recherchiere ich zu neuen Technologien, die ein besseres und längeres Leben versprechen. Ich bewege mich künstlerisch-forschend durch Werbeunterlagen von Biotech-Unternehmen, Science Fiction Filme und aktuelle Forschungsliteratur, um zu begreifen, wie diese (un)-möglichen Körper begehrenswert erscheinen und die Versprechen, ausgehend von Lebenserweiternden- oder gar Unsterblichkeits-Technologien, geglaubt werden. Ich bin sehr dankbar und empfinde es als unglaublich wertvoll, hier in Berlin die Zeit zu haben, diesen soziotechnologischen Zukunftsvisionen und Vorstellungen über «den Menschen» kritisch zu begegnen. Das Stipendium gibt mir die Möglichkeit auch Versuche zu starten und eine transdisziplinäre Praxis zu entwickeln, die sich zwischen verschiedenen Medien verortet.

Viele Nester benötigen andere Nester als Material - Spinnenseide und Insektenkokons, geformt aus anderen komplexen symbiotischen Systemen – Flechten, Moose. Sie benötigen Material von anderen Verwandten: Federn, Haare, Fell, Pflanzendaunen, Gegenstände, Plastikteile.

Deshalb habe ich auch «Nestwork» als Titel für die Radioshow gewählt, die jeweils am letzten Dienstag im Monat von 12–13 Uhr auf dem interkulturellen Community Radio rootradio.net ausgestrahlt wird (erstmals am 31.1.23). Dieses doppelte Nesten bringt mein transdisziplinäres Interesse zusammen und ermöglicht mir, die vielen musikalischen Inputs, die ich in Berlin bereits nach den ersten Tagen erhalte habe, in eklektischen Mixes mit zum Teil unveröffentlichten eigenen Sound-Produktionen zu verarbeiten.


Zur Person:

Levent Pinarci bearbeitet Fragen zu digitalen Technologien, Othering und Mensch-Maschine-Interaktionen. Pinarci untersucht kritisch die körperlichen Auswirkungen neuer digitaler Medien und Bildgebungstechnologien. In den medialen und performativen Auseinandersetzungen werden Beziehungen zwischen queeren Körpern und Virtualität sowie Identitäten und Sprachen dokumentiert und hinterfragt.