Unterwegs mit Pearlie Frisch
Den Versuch, Kunst für sich zu definieren, haben wohl die meisten schon unternommen. Auch ich möchte sie immer wieder in meinen Gedanken für mich greifbarer machen, die Werke in eine Schublade stecken, um Gesehenes und Erlebtes einzuordnen. Natürlich bin ich mir des Paradoxons solcher Überlegungen bewusst, denn viele Künstler*innen wollen ihre Arbeiten einer klaren Definition entziehen, ja eben genau das Schwammige, die Interpretationsarbeit, die nach der Kontemplation geleistet werden muss, ist Sinn des Ganzen. Darüber hinaus sind die Fragen dazu, wo Kunst anfängt und wo sie aufhört, ein wahrlich weites Feld, über das man sich gut streiten kann. Im Gespräch mit Pearlie Frisch erfahre ich Überraschendes zu diesem Thema. Nämlich, dass auch Kunstschaffende wie sie manchmal dieselben Gedanken haben: «Ich setze mich oft mit meinen Werken auseinander, hinterfrage meine Arbeit und ertappe mich dabei, über (Nicht-)Kunst im Allgemeinen nachzudenken.» Ich treffe die Aargauerin in ihrem Atelier in Zürich. Sie kam erst vor wenigen Stunden mit dem Nachtzug an – zurück aus den Sommerferien. In ihrer künstlerischen Arbeit setzt sie sich «obsessiv» mit einem bestimmten Thema auseinander und verarbeite diese Auseinandersetzung danach in ihren Werken, erzählt sie. «Dabei durchlaufe ich einen Prozess, binde das Thema in einer völlig anderen Form in meine Arbeit ein.» Wichtigster Punkt, der sich wie ein langer, roter Faden durch ihr Schaffen zieht, ist die Körperlichkeit: Entweder auf die direkte Art, indem ihr Objekt von den Betrachter*innen berührt werden soll. Oder indirekt: «Es ist extrem spannend für mich, zu sehen, wie Werk, Raum und Mensch miteinander interagieren.» Wir sitzen am Tisch in der Küche eines grossen Raumes im obersten Stock eines Fabrikgebäudes. 18 Künstler*innen teilten sich hier das Atelier, erzählt Pearlie Frisch. Obwohl an diesem Sonntagnachmittag die Sonne scheint, sind mehrere Personen anwesend und arbeiten konzentriert. Vom Textilverarbeitenden über Tätowierer*innen bis hin zu Schmuckgestalter*innen – hier haben alle einen Arbeitsplatz. Bei einem genaueren Blick hinter den Vorhang, der die Küche vom restlichen Raum abtrennt, spüre ich geradezu die Kreativität, die in der Luft liegt. Der Ort hat etwas Besonderes. Ich zumindest kann mir gut vorstellen, dass meine Texte hier im Nu fertig wären.
Pearlie Frisch wusste schon als Kind, dass sie sich hauptberuflich mit Kunst beschäftigen wollte. Nur, wie das denn aussehen würde, war ihr nicht so klar. Sie wuchs in Sarmenstorf auf und setzte sich früh das Ziel, an einer Kunsthochschule zu studieren. Während des gestalterischen Vorkurses, der als Bedingung zur Aufnahme an eine «Kunsti» galt, schlug ihre englischsprachige Dozentin ihr vor, sich in London an der University of the Arts zu bewerben. «Weil meine Mutter ursprünglich Philippina ist, bin ich zweisprachig aufgewachsen.
Englisch war also kein Problem für mich», erzählt Pearlie Frisch. Sie wurde aufgenommen. In London machte sie schliesslich den Bachelor in Book Arts and Design und den Master in Contemporary Photography: Philosophy and Practices. «Ich merkte, dass ich mich vor allem für Fotografie interessierte. Deswegen widmete ich mich daraufhin lange Zeit dieser Kunstform – und fotografierte auch an Hochzeiten oder an Konzerten, um nebenbei etwas Geld zu verdienen. Ich denke sogar in Bildern. Auch dann, wenn ich mich – wie im Moment – viel mit Keramik oder anderen Formen von Kunst beschäftige.» Mittlerweile stehen wir an ihrem Arbeitsplatz und sie verpackt ihre kleinen, schwarzen Keramikwerke in eine Schachtel. Auch sie ist eine der Kunstschaffenden, die den Betrachter*innen nichts vorgeben möchten. «Die Menschen sollen das aus meinen Werken ziehen, was für sie stimmt. Mir ist wichtig, dass sie versuchen, sich auf alles einzulassen. Manchmal entstehen tiefe Emotionen die man nicht analysieren muss. Es gibt meiner Meinung nach zu viele Ausstellungen, bei denen die Besucher*innen nur auf den Schildern lesen, worum es sich handelt, anstatt das Objekt auf sich wirken zu lassen», so Pearlie Frisch, und weiter: «Möchte ich eine ganz bestimmte Message auf den Weg geben, dann setze ich einen Titel über meine Arbeit.»
Nach ihrem Studium in England und der Rückkehr in die Schweiz merkte Pearlie Frisch, dass die Welt nicht auf sie gewartet hatte. «Es war ein ziemlich harter Neustart hier. Ich hatte unterschätzt, wie wichtig ein gutes Netzwerk in der Kunstbranche ist. Meine Kontakte lebten aber alle auf der Insel, ich musste bei null anfangen», erinnert sie sich. Mittlerweile hat sie sich einiges aufgebaut und fühlt sich wohl in Zürich. Sie hat verschiedene Teilzeitjobs, die ihr erlauben, sich die restliche Zeit auf ihre Kunst zu konzentrieren. «Ich mag sehr, wie mein Leben ist. Alle meine Jobs haben mit Kunst zu tun, so greift alles irgendwie ineinander.» Sie unterrichtet bildnerisches Gestalten an der Bezirksschule Wohlen, hat eine Dozentinnenstelle an der Hochschule Luzern inne und macht Führungen durchs Fotomuseum Winterthur.
Pearlie Frisch würde sich freuen, wenn mal eines ihrer Werke Teil einer Sammlung werden würde. «Kunst ist nicht etwas, das ich mache. Es ist eher das, was ich lebe. Und dass ich so leben kann, ist ein Privileg, wofür ich dankbar bin.»
ZUR PERSON
Pearlie Frisch (*1986) aufgewachsen in Sarmenstorf, lebt in Zürich. Ihre Kunst ist nicht nur fürs Auge, sondern will manchmal auch berührt werden. pearliefrisch.com