Literatur

Recycling, Aliens und Sonette

Von
Cédric Weidman

Die Gleichzeitigkeit von Spiel, Ernst, Absurdität und Klarheit: Ein Versuch, Ann Cottens Poetik zu fassen. Aber das Bild sagt mehr.

Begegnungen der dritten Art, Dschungelcamp und maschinelle Ästhetiken: Die Autorin Ann Cotten ist derzeit Residenzgast im Aargauer Literaturhaus Lenzburg.

Wie kann man das erzählen? Diese Frage sei die «typische Eingangsfloskel der Anekdoten der Ausserirdischen», wie es in Ann Cottens Erzählband Lyophilia heisst. Die Ausserirdischen erzählen natürlich, denn hier dichten, spinnen und fantasieren alle, nicht nur die Menschen. Aber sie beginnen mit dieser bescheidenen, fast herzigen Variante von «Es war einmal».

Wie kann man Ann Cotten erzählen? Einfach ist es nämlich nicht, all die Dinge unter einen Begriff zu bringen, die sie verkörpert. Die Lyrikerin ist eine Kernschmelze, die der Gegenwartsliteratur einheizt, wo auch immer sie sich bewegt, und sie scheint sich immer zu bewegen: Geboren in den USA, aufgewachsen in Wien, forschend in Berlin und Japan, jetzt für drei Monate in Lenzburg – im Atelier Müllerhaus, beim Aargauer Literaturhaus. Hier wird sie von Februar bis April schreiben und arbeiten, nicht nur an ihren neuen Poetikvorlesungen, wie jene, die sie eben in Hannover gehalten hat (Titel: Text Fur Aliens), sondern auch an ihrer Dissertation mit dem Arbeitstitel «Misuseability» – Vorarbeiten zu einer Recycling-Poetik, die auch für Nicht-Menschen funktioniert. Die hat natürlich viel mit den Sprachmanövern von Ann Cottens eigener Poetik und ihrer Erkundung von KI-generierter Literatur zu tun.

Ann Cotten schreibt Fremdwörterbuchsonette, Erzählungen oder auch mal ein Cross-Over von Robinson und Dschungelcamp in 104 Pseudo-Spencer-Strophen – das sind, mit dem Reimschema [ababbcbcc], sehr gleichreimende Strophen, die im Deutschen eher ungewohnt sind und originelle Wendungen verlangen. Sie übersetzt im Kollektiv, oder allein, Werke mit schlagenden Titeln wie «Geile Deko» (von Isabel Waidner) oder «Glitch Feminismus» (von Legacy Russell) und neuerdings auch Theorietexte aus dem Japanischen. Sie ist Herausgeberin des Literatur- und Theoriemagazins Triëdere und Erfinderin des «polnischen Genderings», einer Form, in der «alle für alle Geschlechter nötigen Buchstaben in beliebiger Reihenfolge ans Wortende» kommen: «dier Erzählerni» spricht zum Beispiel in den Anleitungen der Vorfahren. Und sie gibt zusammen mit Hannes Bajohr – der mit seiner Gruppe 0x0a unter anderem ein Machine-Learning-Modell auf den Korpus ihrer Lyrik programmierte – eine Anthologie zum Thema Schreiben nach KI heraus, und wird darüber am 24. Februar im Literaturhaus Zürich mit dem Comedian Karpi sprechen. Damit deutet sich aber auch an, was Ann Cotten so besonders macht: Die Sprachliebe und Virtuosität, die mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden, treffen auf ein für deutschsprachige Literatur eigentlich eher untypisches Verständnis von Sprache als Technik. Metrik und Grammatik sind bei ihr produktive Maschinen, auch das polnische Gendering ist nicht nur inklusiv, sondern kombinatorisch, additiv, ludistisch. Der Mensch generiert die Literatur genauso wie eine Maschine – aber auch genauso amüsiert, verwirrt und durch ihre formalen Zwänge befreit. Varianten werden durchgespielt und Gedankenspiele werden mit beeindruckender Konsequenz bis an ihr Ende getrieben, wo sie eine entspannte Ernsthaftigkeit erlangen. Und dann, wenn sich Gefriertrockner als Zeitreisemaschinen und Meyer’s Konversationslexikon als Survival-Kit für Schiffsbrüchige erweisen, scheint es manchmal eben wirklich so, als fände hier ein ausserirdisches Erzählen statt, dessen selbstkritischen Anekdoten man lauschen und folgen will.

Windseite

Eines Nachts bist du am cruisen und fühlst dich wie ein längst
gestorbener Popstar, ein untoter Johnny Depp, mit der
Partnerin des Monats, die du magst, nicht gut kennst, auf der
Heimfahrt vom North Shore im Stau, ohne Hoffnung, ohne
blöde Gedanken, einfach froh, hier zu sein. Und du drehst den
Motor ab, drehst die Musik laut, Hawai‘i Public Radio, Klassik,
früher Abend, Dämmerung, die Show heißt Put something on.
Du weißt, wie Benzin kalkuliert wird. Du befindest dich auf
einer Straße, die man ein Mal im Leben fährt. Und mitten darin
lebst du einen Moment lang dieses luxuriöse, Schalter-flippende,
Bürger-Klasse-Intelligentsia-Leben in damit völlig
unzusammenhängenden Tropen, hörend Prokofjews 7te
Symphonie, während die schwere Luft, besser: die süße Einfrier
der Missbräuchlichkeit, an allen Seiten an dir vorbeitrottet.
Du stehst in der Prozessualität vom Surfing Techno,
der Muße und dem Fleiß zugleich und insgesamt,
weißt, du bist ja immer nur dort, wo Asphalt ist,
du kamst vielleicht auf die Welt, um ein Albatross zu sein,
aber du weißt immer noch nicht, wie das geht.