Klassik

Sommer im Zeichen des Übergangs

Von
Verena Naegele

Das Künstlerhaus Boswil feiert in diesen Wochen sein 70-Jahre-Jubiläum.

KLASSIK Das Künstlerhaus Boswil hat nach dem Weggang von Andreas Fleck mittlerweile eine Lö­sung für sein Kardinalformat «Boswiler Sommer» gefunden. Bis zum Dezember findet eine Vielzahl an spe­ziel­len Jubiläumskonzerten statt.

Das Künstlerhaus Boswil und der Sommer, das ist eigentlich eine bestens harmonierende Konstellation. Nicht umsonst erhielt die Kulturinstitution 2021 den «Europe Award» in der Kategorie Musik der europäischen Kulturstiftung Pro Europa verliehen, und zwar für das damals genau 20 Jahre alte Musikfestival «Boswiler Sommer». Es war der Cellist Andreas Fleck, der 2001 den «Boswiler Sommer» gegründet und diesen auf ein international angerkanntes Level gehoben hatte.

Im Dezember 2022 dann kam überraschend die Kündigung von Fleck als künstlerischer Leiter des «Boswiler Sommer» auf Mitte 2023, wie das Künstlerhaus in einem lakonischen Communiqué mitteilte. Fleck selber hielt in einem persönlichen Statement fest: «Was wir gemeinsam geschaffen haben, noch anstellen können gemeinsam, das soll es nach dem Willen anderer nicht mehr geben.»

Inzwischen ist Ruhe und Zuversicht eingekehrt, nachdem bekannt wurde, dass die Weltklassegeigerin Julia Fischer zusammen mit dem Tonhalle-Cellisten Benjamin Nyffenegger 2024 den «Boswiler Sommer» übernehmen und zu neuem Leben erwecken wird. Damit ist der an­stehende Sommer ein Interimsjahr unter schwierigen Vorzeichen: Der alte künstlerische Leiter Andreas Fleck ist mitsamt seinem festivaltragenden Ensemble Chaarts weg, die Neuen noch nicht da, und gleichzeitig feiert Boswil sein 70-Jahr-Jubiläum – ohne den etablierten «Boswiler Sommer».

Damit ist klar, dass das bis Dezember dauernde «Jubi­läums-­Festival» kaum Vorzeichen auf Neues gewähren wird, aber es zeigt sich, wie wertvoll es ist, wenn an der Spitze eines solch intimen «Land»-Festivals Persönlichkeiten stehen, die auch internationale Stars nach Boswil zu locken vermögen. Das Motto 2023 heisst «Tandem», das Geschäftsführer Claudio Rossetti und Stiftungspräsident Stefan Hegi sich auf die Fahne geschrieben haben.

Gemeint ist, dass das Boswiler Team wie bei einem Tandem-Velo gemeinsam energisch und koordiniert in die Pedale tritt und in die Zukunft blickt. Für das Jubiläumsprogramm zeichnen mit Hugo Bollschweiler, Stefanie C. Braun und Anne-Cécile Gross gleich drei in künstlerischen Positionen arbeitende Personen, und sie präsentieren ihre Handschrift. Vor allen Dingen ist die Jugend im Fokus, die schon zum Auftakt am 1. Juli mit dem Jugendorchester Freiamt unter Leitung von Anne-Cécile Gross einen ersten Farbtupfer setzt: «Orfeo 2023» bringt ein Neben- und Miteinander von Monteverdi mit Werken von Chopin und Nat King Cole.

Zwei Tage später folgt Hugo Bollschweiler mit dem Galatea Quartett, in welchem er die Bratsche spielt. Das Streichquartett tritt zusammen mit dem geistreichen Jazzer und Improvisator Ilro Rantala zum Thema «Venezia» auf. Ob dabei auch Werke des Ur-Venezianers Vivaldi gespielt werden, geht aus den Angaben nicht hervor, jedenfalls ist nochmals Crossover angesagt.

Zum Thema «Opera» gibt es gleich drei Programme. Zuerst gastiert das Theater Rigiblick mit dem Kassen­schlager «Amadeus», wo Daniel Fueter als musikalischer Leiter für das Gelingen garantiert. Ebenfalls Mozart ge­widmet ist das Konzert der bernischen «La Banda Storica», die eine Sinfonie und zwei grosse Arien aus «La Clemenza di Tito», gesungen von Malin Hartelius, aufführen wird. Den dritten Streich liefert dann wieder die Jugend mit dem Abschlusskonzert des von Stefanie C. Braun geleiteten «Ope(r)nlabor».

Eine kunterbunte Dreiergruppe am 13. August eröffnet das Jugend-Sinfonieorchester Aargau, gefolgt von der aus Mitgliedern dieses Orchesters gebildeten Ovrata Band, und zum Abschluss hält mit Marc Sway gar die ganz leichte Muse Einzug in Boswil. Insgesamt wird klar, Boswil besinnt sich in diesem Jahr ganz auf seine Bedeutung als Ausbildungsstätte.

Natürlich wartet man gespannt auch auf die Zukunft des «Boswiler Sommer»: Julia Fischer und Benjamin Nyffenegger stellen sich in «Romantik pur» mit Schumanns Klavierquintett und Tschaikowskys «Souvenir de Florence» als die «Neuen» vor. An ihrer Seite sind klingende Namen wie Alexander Sitkovetsky (Violine) und Yulianna Avdeeva (Klavier). Wenn das kein Versprechen ist.

Julia Fischer

Benjamin Nyffenegger

70 JAHRE KÜNSTLERHAUS BOSWIL

Seit 70 Jahren besteht das Künstlerhaus Boswil und steht heute für Konzerte auf höchstem Niveau mit internationaler Ausstrahlung. Von der Altersresidenz über das Atelierhaus für Künstler*innen verschiedenster Sparten bis hin zum heutigen «Ort der Musik» hat das Künstlerhaus eine beachtliche Entwicklung hinter sich. Dieser Ort der Musik ist seit 2006 ein Leuchtturm für klassische Musik der Aargauer Kulturförderung. Das Jubiläumsfestival mit interessanten Konzertformaten beginnt am 1. Juli und dauert bis 16. Dezember. mh


Weitere Infos: kuenstlerhausboswil.ch