Bühne

Spiegel in die Themenwelt einer Generation

Von
Michael Hunziker

Zum elften Mal findet in Aarau das Jugend Tanz Theater Festival Fanfaluca statt. Aus der ganzen Schweiz reisen junge Theater- und Tanzgruppen an, um miteinander zu spielen und mit dem Publikum in Austausch zu kommen. Wir sprachen mit Petra Fischer, der künstlerischen Co-Leiterin des Festivals und stellen drei Highlights vor.

Das Jugendtheaterfestival Fanfaluca findet im September zum elften Mal statt. Was habt ihr dieses Mal neu gemacht?

Petra Fischer: Wir haben uns die letzten zehn Jahre immer wieder weiterentwickelt und haben neue Formate und Strukturen erprobt. Für dieses Jahr haben wir uns mit Neuerungen etwas zurückgehalten. Wir räumen dem gegenseitigen Austausch und den Begegnungsmöglichkeiten etwas mehr Platz ein als letztes Jahr. Und das «Neue» findet bei uns ohnehin auf den Bühnen statt.

Wie stellt ihr euer Programm zusammen?

Unsere Programmgruppe wählte aus über 50 Jugendtheatergruppen aus. Sie kuratiert die Produktionen, die zu sehen sein werden und auch die Residenzen. Einerseits kann man sich als Gruppe fürs Fanfaluca anmelden, andererseits gehen die Leute aus der Programmgruppe auch aktiv auf jugendliche Theaterschaffende zu und laden sie ein, sich anzumelden. Unser Programm soll ja das gesamte Spektrum von Tanz und Theater junger Menschen zwischen 16 und 26 abbilden. Und das schweizweit.

Wie gelingt euch das?

Wir merken immer wieder, dass das Fanfaluca noch weiter an Bekanntheit gewinnen dürfte, auch in kleineren Städten. Deshalb ist es wichtig, dass die Programmgruppenmitwirkenden auch von sich aus auf die Suche gehen, Perlen finden und in die Runde einbringen.

Wie funktionieren die Residenzen?

Wir wählen Gruppen aus, die während vier Tagen an ihren Produktionen arbeiten und aktiv am Programm des Festivals teilnehmen wollen. Neben den Proben besuchen sie also Aufführungen, bringen sich an Feedbackrunden und Workshops ein und geben am Ende des Festivals einen öffentlichen Einblick in ihre Arbeit. Auch hier achten wir darauf, dass Leute aus unterschiedlichen Disziplinen wie Tanz, Parcours und Theater am Residenzort – dieses Jahr im Kubo – aufeinandertreffen.

Ich nehme an, es ist nicht einfach, einen solchen stadtnahen Freiraum zu finden. Was bietet euch das Kubo?

Ja, das ist so. Hier haben wir eine grosse Fläche zur Verfügung, die die Gruppen entdecken und für ihre eigenen Ideen kreativ nutzen können, ohne sich ins Gehege zu kommen. Durch die Nähe kommt aber auch schnell der gewünschte Austausch zustande. Für unsere Jugendlichen ist die Erfahrung auch übers Festival hinaus wichtig. Es ist wertvoll, einen unkommerziellen Freiraum zu haben, der Teilhabe ermöglicht und ein Experimentierfeld bietet, um sich ausprobieren und weiterentwickeln zu können.

Wo sind eigentlich die rund hundert Menschen untergebracht?

Das ist grundsätzlich eine Herausforderung in Aarau. Einerseits im Haus für Bildung und Begegnung Herzberg, mit dem uns eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, und im Pfadiheim Adler.

Wo positioniert sich das Fanfaluca unter den Theaterfestivals?

Wir bringen Schultheater, Jugendspiel- und -tanzclubs und freie Gruppen zusammen. Das gibt es so in der Schweiz nur bei uns. Es ist wichtig, dass junge Menschen, die in der Schule die Begeisterung fürs Theater entwickelt haben, auch Möglichkeiten kennenlernen, wie sie nach der Schule ihrer Leidenschaft nachgehen können. Bei uns kommen sie in Berührung mit verschiedenen Nachwuchsprogrammen, Organisationsformen oder gar Ausbildungswegen. Zudem sind wir ein nationales Festival. Wobei wir sehr daran arbeiten, wirklich alle Sprachregionen präsentieren zu können. Mit der Alten Reithalle haben wir einen fantastischen Spielort mit professionellen Bedingungen. Und nicht zuletzt sind wir ein öffentliches Festival. Unter anderem laden wir gezielt Schulklassen zu unseren Aufführungen ein. Wenn Gleichaltrige auf der Bühne sind, hat das einen grossen Anreiz gerade für Jugendliche, die sonst dem Theater und dem Tanz gegenüber nicht so aufgeschlossen sind.

Wie steht es mit der Theaterbegeisterung der aktuellen Generation? Wo werden Jugendliche heute noch «theaterisiert?»

Bei denjenigen, die Theater spielen oder besuchen, ist die Begeisterung da, klar. Generell ist es aber schon so, dass angesichts der vielen Angebote und alltäglichen Herausforderungen bei Jugendlichen Theater und Tanz doch nachgeordnet sind. Es braucht für sie neben all ihren Verpflichtungen viel Energie, dranzubleiben. Wichtig scheint mir, dass für Jugendliche ein kontinuierliches, niederschwelliges Angebot an Kursen, an Produktionen besteht. Nur dadurch werden Jugendliche «theatralisiert» – durch engagierte Personen und Erlebnisse, in denen die Welt durch Tanz und Theater anders erfahrbar, durchschaubar und veränderbar gemacht wird.

Jugendtheater ist auch ein Spiegel in die Themenwelt einer Generation. Was beschäftigt die Jugendlichen heute?

Bestimmte Grundfragestellungen des Menschen kommen im Theater seit der Antike immer wieder zum Vorschein. Aufgefallen ist uns in diesem Jahr, dass sich die Jugendlichen verstärkt mit dem Thema der psychischen Gesundheit auseinandersetzen im Zusammenhang mit Leistungsdruck und gesellschaftlichen Erwartungen. Aber auch die Klimakrise wird verhandelt. Insofern geht es nicht nur um Themenwelten einer Generation, sondern um die unserer Gesellschaft, in der alle Generationen leben.

Welche Strahlkraft hat eigentlich Fanfaluca in den professionellen Theaterbetrieb hinein?

Das hält sich nach wie vor im überschaubaren Rahmen. Auch bei grossen Häusern findet selten ein Austausch zwischen Jugendgruppen und professioneller Leitung statt. Aus meiner Sicht ein Versäumnis, denn die Perspektiven der Jugendlichen würden den Betrieb bestimmt inhaltlich und formal befruchten.

Worauf freuen Sie sich als Festivalleiterin am meisten?

Dass nun all die Jugendlichen zusammenkommen, die wir einzeln über das Jahr kennengelernt haben. Dass wir alle durch das Festival gemeinsam neue Erfahrungen machen und Dinge entstehen werden, die so noch nicht existiert haben. Wir wollen einen fundierten Rahmen schaffen für Spontanität und Kreativität. Und ich freue mich besonders auf die vielen Begegnungen im Festivalalltag mit dem Publikum.

ZUR PERSON

Petra Fischer (*1963 in Berlin), lebt in Zürich und Chur. Sie studierte Theaterwissenschaft in Leipzig. Seit 2020 / 21 ist sie Dramaturgin und Vermittlerin für junges Publikum im Theater Chur und seit 2020 künstlerische Co-Leiterin des Fanfaluca.

Nummernrevue zum Umweltschlamassel

BÜHNE Vielleicht hat die Menschheit die Worte im Genesis-Kapitel der Bibel etwas zu ernst genommen: Mehret euch, füllt die Erde und macht sie euch untertan, herrscht über die Fische, die Vögel etc. Jedenfalls sitzen wir heute ziemlich genau wegen diesen Leitsätzen im Schlamassel – die Meere ausgefischt, der Himmel voller Artensterben, und der Mensch entweder übersättigt oder unterversorgt – und müssen über Nachhaltigkeit reden. Auch im Theater, denn das moralisch aufgeladene Thema darf ja auch Lust machen. Die Theatergruppe Fabulant der Kanti Trogen wagt mit «Nachhall» oder «Das haben wir jetzt davon» oder «My Brain Hurts A Lot» gar eine Nummernrevue mit Gesang und lotet die Dimensionen der Debatte mit viel Witz aus. Denn was bleibt der nächsten Generation auch übrig, um nicht am Erbe zu verzweifeln, das wir ihr hinterlassen: genau, das Prinzip Hoffnung gepaart mit scharfer Komik. mh

AARAU Alte Reithalle, Di, 10.September, 19.30 Uhr

Gemeinsam gegen den Strom krumpen.

Kraft des Andersseins

BÜHNE Die Frage nach der eigenen Identität trägt in sich bereits Schleuderpotential, wird sie wie bei Niki Anjes Stadler und ihrem Berner Tanzensemble in der Produktion «Comfortable me» mit Krump verhandelt, wird die Fruchtbarkeit der Andersartigkeit sichtbar. Krump? Das ist ein dem Breakdance verwandter Tanzstil, sein Programm: Weg von den Normen, weg vom gesellschaftlichen Erwartungsdruck, weg von vorformatierten Identitätsschablonen. Gemeinsam tanzen die Tänzer*innen gegen den Strom, verleihen ihrer eigenen Geschichte Ausdruck, und finden über ihre Schwächen zu Superkräften. In «Comfortable me» kommen verschiedene kulturelle Einflüsse, stilistische Mittel und Perspektiven zusammen. Eine ästhetisch choreografierte wie kostümierteTanzperformance, die fiebrig macht. mh

AARAU Alte Reithalle, Fr, 13.September, 19 Uhr

Es herrschen chaotische Zustände in «Valbella».

Katastrophe im schönen Tal

BÜHNE Was passiert, wenn plötzlich die Ordnung der Erwachsenen wegbricht und Jugendliche auf sich alleine gestellt sind? Das Theater der Kantonsschule Rämibühl (ZH) adaptiert den Klassiker «Herr der Fliegen» von William Golding und versetzt den Stoff in «Valbella» in ein Chalet in den Bergen, ins Milieu der High-Society. Nach einem Lawinenniedergang sind die privilegierten Jugendlichen von der Welt abgeschnitten. Auch hinter den Türen des Chalets entfaltet sich eine Katastrophengeschichte. mh

AARAU Alte Reithalle, Do, 12.September, 19 Uhr

DAS FESTIVAL

Hinter dem Festival steht der Verein «Theater Treffen der Jugend», der sich der Förderung von Jugendtanz- und theaterschaffen verschrieben hat. Fanfaluca wird u.a. vom Bundesamt für Kultur, dem Swisslos der Kantone Aargau, Zürich und Bern und der Stadt Aarau finanziert.

AARAU Div. Orte, 10. bis 15. September, fanfaluca.ch