Tagebuch aus Berlin von Kevin Sommer
Seit Oktober bin ich im Atelier des Aargauer Kuratoriums in Berlin. Das Studio befindet sich in der Nähe der U-Bahn-Station Frankfurter Tor im ehemaligen Ostteil der Stadt. Das Frankfurter Tor ist einer der Plätze an der grossen Karl Marx Allee, die von Bauten des Sozialistischen Klassizismus und zwei markanten «Leuchttürmen» gezäunt ist. Die drei Monate im Atelier nutze ich, um auf meinem Instrument, der Klarinette, an neuen Klängen zu forschen, inspirierende Musiker*innen und Künstler*innen in Berlin persönlich kennenzulernen, Konzerte zu besuchen sowie vom vielfältigen Kulturangebot der Stadt zu profitieren. Ich arbeite zur Zeit viel mit Präparationen, mit denen ich den Klang der Klarinette verfremde. Dazu dienen meist Alltagsgegenstände wie Kartonbecher, Ping-Pong-Bälle, kleine Metallketten, Küchenformen aus Aluminium und ein Korkstöpsel. Mir gefällt der spielerische Umgang mit diesen Materialien, der mir hilft, locker, intuitiv und gewissermassen kindlich an die Musik heranzugehen. Hier in Berlin habe ich nun genug Zeit, diese Präparationen bis ins feinste Detail auszutüfteln, um neue, für die Klarinette ganz untypische und geräuschhafte, fast elektronische Klänge zu entwickeln. Das Atelier verfügt über viel Tageslicht und eine gute Akustik. Auch deswegen lade ich sehr gerne Musiker*innen hierher ein, um zusammen zwanglos zu spielen und um mich mit ihnen auszutauschen.
Am Abend gehe ich meistens irgendwo in der Stadt
ein Konzert hören. Viele Lokale für frei improvisierte oder
experimentelle Musik befinden sich in Kreuzberg und Neukölln gegenüber
auf der anderen Seite der Spree. Es sind meist kleine, alte Laden- oder
Barlokale, die für Konzerte umgenutzt werden und wo es ganz viel
spannende Musik zu entdecken gibt. Dorthin komme ich meist mit dem
Fahrrad, mit dem ich auch sonst in der Stadt unterwegs bin. Denn es gibt
viele Fahrradwege und im Vergleich zur Schweiz sind die Strecken sehr
flach. Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Atelieraufenthalt machen
kann. Denn er gibt mir die Zeit, den Raum und die Inspiration, die ich
für meine Musik brauche.
Kevin Sommer
Spielt Klarinette in verschiedenen Formen und Grössen im Grenzbereich zwischen freier Improvisation, Jazz und zeitgenössischer Musik. Er ist als freischaffender Klarinettist und Klarinettenlehrer tätig. Neben der freien Improvsation beschäftigt er sich intensiv mit konzeptuellen Fragestellungen und ortsspezifischen Projekten. Noch bis Dezember 2022 wohnt er im Atelier des Aargauer Kuratoriums in Berlin.