Die Eva-Seck-Kolumne
Einst begann ein Forscherteam Waldrappe aus dem Zoo auszuwildern. Dafür verbrachte das Team viel Zeit mit den Küken: Sie waren von morgens bis abends für sie da, fütterten sie, reinigten und kraulten sie, sprachen und kuschelten mit den Vögeln. Diese enge Beziehung braucht es, damit die Vögel den Menschen später folgen, wenn sie ihnen die Flugroute über die Alpen zeigen. Die Waldrappe fliegen ihren Bezugspersonen nach, die in Ultraleichtfliegern sitzen, und prägen sich so die Route von den Alpen bis in die Toskana ein.
Diesen Monat erschien ein umfassender Bericht zur Biodiversität in Deutschland, den Faktencheck Artenvielfalt. Ein Team von 154 Forschenden haben für fünf grosse Lebensräume festgestellt, dass fast ein Drittel aller (!) Arten vom Aussterben bedroht oder stark gefährdet. In den Lebensraumtypen des Grünlandes ist die Population von Vögeln in knapp vierzig Jahren um mehr als die Hälfte (!) zurückgegangen. Das liegt vor allem an der intensiven Landwirtschaft, für die Hecken und Bäume entfernt werden und an giftigen Pestiziden.
Unser Sägen am Ast der eigenen Existenzgrundlage ist der absolute Wahnsinn, auch wenn die Katastrophe eine schleichende ist. Wie schön wäre es, wenn wir die Leidenschaft und Zuwendung für die Wiederansiedlung der Waldrappe auch dafür einsetzten, um die Verschmutzung der Ökosysteme durch Industrie, Landwirtschaft und Verkehr drastisch zu senken und die weitere Versiegelung von Flächen (zum Beispiel für Autobahnen) ganz zu stoppen.
Eva Seck (*1985 in Rheinfelden) schreibt Lyrik, Prosa und essayistische Texte. Ihr letzter Gedichtband «versickerungen» erschien 2022 im Verlag «die brotsuppe» in Biel. Sie lebt mit ihrer Familie in Basel.