Kolumne

Unfall

Von
Jens Nielsen

Die Jens-Nielsen-Kolumne

Als ich aus Buenos Aires heimkam und erzählte, was ich tänzerisch erlebte dort, fragte meine Freundin, wollen wir zusammen in einen Tanzkurs? Danke, sagte ich, nein danke, zu ge­fährlich. All die Prellungen, die man davonträgt, wenn man tanzend an die anderen Paare stösst. Die Zerrungen hinzu, die Muskelrisse. Und die Atemnot. Nein. Aber …, sagte meine Freundin. Und erst die Organe, fuhr ich fort. Die werden durch das Tanzen ganz dekompensiert. Ich will es nicht riskieren, die Verluste, Leberschäden, Nierensteine, wer weiss, auch Verlust der Lebens­freude, Lungenkollaps, Blutvergiftung, um nur einiges zu nennen, was ich fürchte. Dann der Eiter, der sich staut in den Gelenken von dem Trampeln und dem Treten. Daraus unvermeidbar folgt eine Zerstückelung der Seele, Traumata, Verlust der Kontinenz. Nein, kalter Schweiss rinnt mir den Rücken ab, wenn ich daran denke, Schatz.

Meine Freundin lachte mich aus. Sie lacht mich öfters aus, vielleicht verdiene ich es. Willst du, dass ich nach der Tanzlektion in Therapien muss? Das fragte ich, um mich zu verteidigen. Therapien dauern Jahre, kosten Geld. Und wo sind Tanzlektionen angeboten, die nur einmal jährlich stattfinden? Richtig, nirgends. Wöchentlich sind die. Erbarmungslos an jedem Donnerstag um 19 Uhr, stampfen, treten, brechen. Und danach, um 21 Uhr, wenn die Demütigungen und die Schürfungen ein Ende haben und ich kaum noch aufrecht stehen kann vor Scham und Zysten, dann … Ich übertreibe masslos, sagte meine Freundin. Ja, ihr Einschätzungsvermögen ist nicht immer kalibriert.

Jens Nielsen wollte ursprünglich die Hundeschule be­suchen, wurde dann aber Schauspieler und Autor. Er ist Mitglied der Musikformation SEN-Trio mit Ulrike Andersen und Hans Adolfsen und arbeitet regelmässig für SRF2 Kultur. Einige seiner Vergehen sind hier aufgeführt: www.jens-nielsen.ch