Aus der Serie «Vrenis Gärtli». Foto: Gabi Vogt
Wie ein überdimensionales Stück Toblerone steht sie in der Landschaft: die Panzersperre. Das Forum Schlossplatz in Aarau widmet dem Relikt der Stunde eine Ausstellung. Und ein Forschungsprojekt untersucht seinen Bedeutungswandel vom militärischem Hindernis zum kulturellen Erbe
Die Landschaft des Aargaus birgt oft übersehene Spuren der Vergangenheit: Reihen aus massiven Betonhöckern, einst als Panzersperren errichtet. Während des Zweiten Weltkriegs und im Kalten Krieg sollten sie den Vormarsch feindlicher Truppen verzögern, damit die Armee in den Alpen Stellung beziehen konnte. Seit den 1990er-Jahren hat sich die Wahrnehmung der Panzersperren gewandelt: Mit dem Verlust ihrer militärischen Funktion setzte eine Neubewertung als Kulturerbe ein. Während einige Sperren von der Denkmalpflege als historisch wertvoll eingestuft wurden, sind andere dem Verfall überlassen oder in urbane und naturnahe Umgebungen integriert worden. Manche wurden zu ökologischen Rückzugsräumen, andere in Schulhöfe oder Wanderwege eingebunden. In der Westschweiz entstand mit dem «Sentier des Toblerones» ein 17 Kilometer langer Lehrpfad entlang der Betonhöcker. Gleichzeitig wurden sie Ausgangspunkt für Kunstprojekte, die ihre historische und symbolische Bedeutung hinterfragen.
Diese Transformation stand am Beginn des Forschungsprojekts «Materialisierte Erinnerungen (in) der Landschaft» an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Vom Schweizer Nationalfonds (SNF) gefördert, untersuchte es von 2019 bis 2023 die sich wandelnde Bedeutung dieser Relikte. Während die Bunker der Alpenfestung immer wieder das Interesse von Künstler*innen und Forscher*innen weckte und die Fantasie von Literat*innen, Kulturschaffenden und Kulturwissenschaftler*innen anregte, fragten wir uns, welche Spuren die Panzersperren fern des Alpenreduits im kollektiven Gedächtnis hinterlassen: Wie werden sie im besiedelten Mittelland von Gemeinden, Kulturschaffenden oder Naturschutzorganisationen umgedeutet?
Das künstlerisch-ethnografische Forschungsprojekt befragte Akteur*innen danach, welche gegenwärtige Bedeutung die Panzersperren für sie als sichtbare landschaftliche Objekte haben. Mit Menschen, die in, mit und um Panzersperren leben und arbeiten, wurden Video-Walks unternommen: Dabei waren Anwohner*innen, Mitglieder von Festungsmuseen, Kunstschaffende und Naturschutzmitarbeiter*innen. Die Ergebnisse dieser Forschung von Anna Froelicher, Simon Graf und Florian Wegelin münden nun in die Ausstellung «Vergangenheit im Vorgarten», die am 28. Februar 2025 im Forum Schlossplatz in Aarau eröffnet wird. Ergänzend erweitern künstlerische Arbeiten von Frédéric Dedelley, Barbara Kiener, Lithic Alliance, Bertilla Spinas & Philippa Jochim sowie Gabi Vogt die Ausstellung um eine ästhetische und inhaltliche Ebene. Sie thematisieren die Panzersperren als Material, Metapher und Symbol und eröffnen neue Lesarten dieser Relikte.
Die Ausstellung nähert sich dem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Zunächst wird die historische Funktion der Panzersperren beleuchtet. Bereits während des Kalten Krieges erlebten sie erste zivile Umnutzungen. Ein weiterer Abschnitt zeigt die Transformation der Hindernisse zum Natur- und Kulturerbe in den 1990er-Jahren. Schliesslich untersucht die Ausstellung die Aneignung dieser Relikte in der Gegenwart – ob als Abenteuerspielplätze, in städtische Planungen integriert oder künstlerisch hinterfragt. Ein mehrstimmiger Audioloop begleitet die Ausstellung und bringt unterschiedliche Stimmen aus der Bevölkerung ins Gespräch.
Die Ausstellung «Vergangenheit im Vorgarten» macht diese Transformationen und Perspektiven sichtbar und lädt dazu ein, sich mit der historischen, aktuellen und zukünftigen Bedeutung der Panzersperren auseinanderzusetzen. Sie zeigt, dass diese Relikte nicht nur Spuren der Vergangenheit sind, sondern auch aktive Elemente der Gegenwart und Zukunft. Die Frage bleibt: Werden sie als Mahnmale erhalten, als nutzlose Artefakte abgetragen – oder weiterhin umgenutzt und neu interpretiert?
Aus der Serie «Sperrige Relikte». Foto: Florian Wegelin