Das offene Objekt

Was brauche ich wirklich?

Von
Rudolf Velhagen

Erkenne das Wesentliche... (ist manchmal gar nicht so leicht)

Die Betreuung einer Sammlung mit Tausenden von historischen Objekten führt immer wieder zur Frage, was sammlungs- und somit aufbewahrungswürdig ist. Die schier unendliche Anzahl von Objekten zwingt zu Entscheidungen, die bei Museum Aargau auf der Grundlage eines konzisen Sammlungskonzeptes beruhen. Wie verhält es sich aber im eigenen Alltag? Was bedeutet es, Objekte – in diesem Fall meist Konsumgüter wie beispielsweise Küchengeräte oder Kleider – zu «sammeln» und somit bei sich zu Hause anzuhäufen?

Die Sehnsucht nach einer minimalistischen Existenz wird gerade in Überflussgesellschaften immer grösser und seit einigen Jahren auch von Influencer*innen fleissig als neuen Lifestyle angepriesen. Vor allem zu Beginn eines neuen Jahres suchen wir geistige Klarheit, die wir mit vollgestopften Schränken und Wohnungen nicht zu erreichen meinen. Erfahrungsgemäss wissen wir, dass der Befreiungsschlag aus dem erdrückenden «Zuviel» – dazu gehören auch Diäten, Fitnessvorsätze sowie die Reduktion oder gar der totale Verzicht von bräsiger Dauerberieselung durch Streaming-Dienste und Social Media – meistens scheitert: Wir hängen nun Mal noch an dem zu eng gewordenen Sommerkleid aus den 90er-Jahren und schaffen es einfach nicht, es zu entsorgen. Dies hängt zweifellos damit zusammen, dass wir Objekten immer auch eine emotionale Kraft zuschreiben, welche ein nüchternes «Jetzt aber weg damit!» sehr lange verunmöglicht. Vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit, anders zu denken und den Verzicht auf Materielles nicht mehr als das einzig «Andere» des Konsums zu sehen, sondern einen goldenen Mittelweg zu finden? Schliesslich sind sich Philosoph*innen wie Ayn Rand (1905–1982) oder Gilles Deleuze (1925–1995) und Félix Guattari (1930–1992) einig, dass wir durchaus auch brauchen, was wir im Grunde genommen nicht oder nicht mehr brauchen.

Die berufliche Erfahrung, wonach aufgrund eines plötzlichen Todes ganze Haushaltungen möglichst rasch ausgeräumt werden müssen, hat mich gelehrt, meine Konsumgewohnheiten zu überdenken: Überquellende Estriche, Keller oder Kleiderschränke haben zur Erkenntnis geführt, dass für mich inzwischen Lebensqualität nicht im pausenlosen Anschaffen von Gütern, sondern im Überdenken und Hinterfragen von Kaufreizen liegt: Erkenne das Wesentliche!

Brauchen wir wirklich einen Blumenhalter wie den INCA-Bijou von 1970? Der Verpackungstext verspricht, dass der Blumenhalter «schöne Blumen-Arrangements in breiten Vasen und flachen Schalen» ermöglicht: «Er bricht nicht, rostet nicht und hat einen festen Stand.» (Inv.-Nr. K-19349). Foto: rv

Rudolf Velhagen, Chefkurator bei Museum Aargau, er kundet an dieser Stelle die verborgenen Botschaften der Dinge. Nicht weniger als 55000 historische Objekte aus der kantonalen Sammlung warten auf ihre Befragung.