Editorial

Wenn das Tanzen wehtut ...

Manchmal kriegt man bereits einen Kater, bevor die Party richtig angefangen hat. Es ist nicht von der Streetparade die Rede, an der Bundespräsident Berset, geschmückt mit Federboa und Borsalino, auf dem Lovemobil «Karl» seine Finger (zwischen denen ein Stumpen klemmte) zu den Beats tanzen, ja flattern liess. Nein, diese Party ist vorbei. Es geht hier um die Nationalratswahlen (im Oktober). Format Sesseltanz (ja, wie beim Kindergeburtstag). Unterschied: Die Anzahl Sessel bleibt konstant, nur die Personen, die an die Party kommen, werden immer mehr. Spitzenreiter ist der Aargau, 713 Personen wollen einen der 16 Sitze. Die Teilnahme lassen sich Einzelne über 150000 Franken kosten. Andere tun sich für etwas noch Grösseres zusammen und produzieren wie im Fall der «Right-Wing-Populist-Party Switzerland» (Wikipedia) einen Wahlkampf-Clip im Kleide eines Musikvideos. Darin stellt die Partei eine Party nach, an der sie zum selbst geschriebenen Song («DJ Tommy» Matter) und geklauter Melodie (Sister Sledge, «We are Family», komponiert von Nile Rodgers) richtig abgehen und Spass haben.

Im Dunkel des Dancefloors flackern Neon-Krawatten (irrlichternder Geist der Ausschaffungsbürokratie?), die Kuhlen tragen Sonnenbrillen (sehen also nicht, was in der Disko läuft). Es wird gehüpft, Daumen hoch und grins, grins im Chor gesungen: «...einmal ufe, einmal abe, kein Schritt links und zweimal rechts» (dann tanzt man im Kreis oder ins Abseits). Immer wieder wird beteuert, «tanzä tuet doch niemerdem weh». Dazu die Choreo: Disko-Queen und Milliardärin Martullo-Blocher wackelt mit den Hüften und bewegt sich dann doch, eins und zwei, nach eben diesem Links. Falsch getanzt? Vielleicht ist dies eine ästhetisch gewollte, perfide dialektische Brechung des Werbebüros, oder vielleicht denkt die Partei, die Zuschauer*innen sind eh zu doof. Wenn Martullo (immerhin gerne «seven thinking steps» ahead) nach links tänzelt, sieht es aus, als bewege sie sich nach rechts. Ein Verwirrspiel der Perspektiven, allemal. Eine Verdrehung der Achsen. Eine Umwertung der Werte. «Lassed eus äs bizzli tanze jedä Tag, gäge all diä schlächte News, Chläbstoffschnüffler, Rasta Groove!» Wahrscheinlich sind damit Klimakleber*innen gemeint und irgendetwas mit Dreadlock-Frisuren. Schlechte News sind doch dieser Tage Krieg, Putin-Gelder in der Schweiz, Fremdenfeindlichkeit, Wohlstandsschere...

«We are Family». Der Song der afro-amerikanischen Künstlerinnen Sister Sledge wurde über die Jahre zur LGBTQI-Hymne (eines der Partei-Feindbilder). Die rechtskonservative Partei, die derzeit die Mehrheit im Nationalrat ausmacht, bringt mit ihrem Kampf-Clip die Cultural Appropriation auf den Begriff. Besser könnte man Widersprüche nicht demonstrieren. Der Komiker Karpi hat Nile Rodgers auf Twitter auf das Werk hingewiesen. Binnen Stunden hat Sony Music eine Verletzung des Urheberrechts ausgemacht und liess diese Disko schliessen.

Der Tanz der Rechtsparteien schmerzt eben schon. Vor allem Einkommensschwache, Menschen mit Migrationshintergrund, Asylsuchende, Menschen mit Behinderung. Auch die Kulturhäuser. Diese haben letzte Budgetrunde im Aargau gespürt, welches Lied gespielt wird.

Wer sich ernsthaft mit Themen wie Rassismus und soziale Ungleichheit auseinandersetzen möchte, ist herzlich eingeladen, das Aargauer Kunsthaus zu besuchen. In der Ausstellung «Stranger in the Village» kann man Zugehörigkeits- und Ausgrenzungsmechanismen, Privilegien und Machtstrukturen hinterfragen. Und integrative Perspektiven kennenlernen. Das tut uns allen gut.