Am 20. Oktober sind Regierungsratswahlen. Alex Hürzeler, bisheriger BKS-Vorsteher, wird nicht zur Wiederwahl antreten. AAKU und der AGKV haben sich Anfang August mit drei Kandidat*innen getroffen, die Aussicht auf eine Wahl in den Regierungsrat und auf den BKS-Amtsvorsitz haben. Für die Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen des Aargaus eine wichtige Wahl.
Martina Bircher: Da muss ich überlegen, ich bin grad erst aus den Ferien zurückgekommen. Die 1. August-Feier ist für mich auch ein kultureller Anlass, ein sehr wichtiger sogar. Am 31. Juli war ich in Reitnau / Attelwil und am 1. August in Aarburg und in Frick als Rednerin.
Ruth Müri: Ich war gerade in «Karls kühne Gassenschau» in Dietikon, was ja schon hinter der Kantonsgrenze liegt. Der letzte kulturelle Anlass im Aargau war die Premiere von «Tanz und Kunst» in der Alten Reithalle in Aarau, das war sehr eindrücklich mit den vielen Schülerinnen und Schülern.
Beat Flach: Den 1.August habe ich auch gefeiert bei uns in Auenstein, wir hatten ein Fest mit viel Musik, das finde ich total lässig und an der Lenzburgiade war ich – da warst du ja auch, Ruth. Und sonst bin ich auch viel an Konzerten, also auch Rock und Metal, oft ganz kleine.
Müri: Ich bin sehr kulturbegeistert, habe aber leider fast zu wenig Zeit, um kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, weil ich als Stadträtin und Grossrätin ja sehr viele Termine habe, auch abends. Am Sonntag besuche ich gerne Museen, früher mit der ganzen Familie, jetzt mit meinem Mann.
Flach: Kultur hat für mich einen sehr hohen Stellenwert. Ich bin auch seit sechs Jahren Präsident vom «machtheater», eine Institution in Zürich, die Ausbildungsplätze für Menschen mit Beeinträchtigungen im Theater und in der Kommunikation zur Verfügung stellt. Und sonst bin ich sehr viel an Konzerten wie etwa im KIFF, im Salzhaus in Brugg.
Bircher: Für mich ist Kultur etwas, das uns als Menschen ausmacht. Sie ist für mich Geschichte, also Vergangenheit, aber auch Zukunft. Und mit dem Standort verbunden. In Aarburg habe ich mich ja dafür eingesetzt, dass die Festung öffentlich zugänglich gemacht wird und hoffe, dass in Zukunft dort kulturelles Leben Einzug halten wird.
Bircher: Eher bei traditionellen Kulturanlässen, seien es Theater-Aufführungen, Laientheater oder an Veranstaltungen, die ich mit meinem Kind besuchen kann, wie etwa Zirkus. So kann ich Kultur und Familie grad unter einen Hut bringen.
RUTH MÜRI
Jahrgang 1970, wohnt in Baden, Grüne, ist seit 2013 Stadträtin von Baden (Ressort Bildung und Sport) und Grossrätin. Sie studierte an der Uni Zürich Geografie.
Flach: Ich glaube, damit soll die Vielfalt des Kantons Aargau, einem Landkanton, gefasst werden. Unsere Kultur ist bekanntlich breit und reich an Tradition, daher ist es schon schwierig auf dieser Grundlage ein Framing zu schärfen.
Müri: Ich empfinde es als cooles Label, das zeigt, dass der Kanton bzw. die Menschen im Kanton kulturell engagiert sind. Wir haben bekannte Kulturinstitutionen, zum Beispiel das Kunsthaus oder die Bühne Aarau, die grosse Ausstrahlung erzielen. Und wir haben eine engagierte Laienkultur. Ich empfinde es aber nicht als ein wirklich ehrliches Label, wenn man die Kulturausgaben des Kantons anschaut.
Bircher: Die Aargauer Kultur ist vielschichtig verteilt im ganzen Kanton und natürlich mit den vielen Burgen und Schlössern, die auch sehr prägend sind für den Kanton Aargau.
Müri: Nein, es wird dem gesellschaftlichen Stellenwert der Kultur und dem Label Kulturkanton nicht gerecht. Mit den Sparmassnahmen 2014 bis 2019 sind massive und schmerzhafte Einsparungen im Kulturbereich gemacht worden. Obwohl die Bevölkerung im Kanton Aargau sehr gewachsen ist, hat man das Kulturbudget nicht wirklich angepasst. Dabei haben wir im Aargau recht progressive Förderinstrumente, etwa das Kuratorium, aber es ist einfach alles sehr schwach finanziert.
Bircher: Ich finde es schwierig mit so einer Kennzahl, einem Betrag Franken pro Einwohner, zu operieren. Schlussendlich muss ja auch die Gegenfrage kommen: Wenn man dort mehr Geld investieren möchte, wo nimmt man es weg? Und dann sind wir in der Diskussion. Will man den Schulen weniger geben oder dem Sozialen? Schliesslich muss man gute Rahmenbedingungen schaffen, auch für die Kulturschaffenden, die sind ja auch Unternehmer. Mit meinem politischen Hintergrund bin ich aber weniger diejenige, die sagt, jetzt verteilen wir im grossen Stil Geld.
Bircher: Nein, das kann ich so auch nicht. Also ich kann nicht sagen, dass es jetzt das Ziel ist, auf Platz 15 zu kommen, denn das ist keine seriöse Antwort. Für mich ist wichtig, dass der Franken ankommt.
MARTINA BIRCHER
Jahrgang 1984, wohnt in Aarburg, SVP, ist seit 2019 Nationalrätin und Vizestadtprä- sidentin von Aarburg (Ressort Soziales, Gesundheit und Wirtschaft). Davor war sie Grossrätin. Sie absolvierte eine Kaufmän- nische Lehre und studierte an der FHNW Betriebswirtschaft.
Flach: Wenn man diese Statistik anschaut, dann stellt man fest, dass zwischen Platz 20 und Platz 22 wenig Unterschied besteht. Fast alle Schweizer Kantone sind irgendwo in einem ähnlichen Range. Jetzt könnte man schauen, wie es Kantone machen, die mehr ausgeben. Haben die dann automatisch auch mehr Kultur? Nein, haben sie nicht. Das Mass muss man immer wieder im Auge behalten, aber es ist nicht das Mass, mit dem man am Ende mehr Kultur generiert. Wir müssen nicht über den Franken pro Einwohner diskutieren, sondern darüber, wie wir es hinkriegen, dass diejenigen, die hier sind, besser gefördert werden. Zum Beispiel durch Stiftungen. Martina Bircher hat gesagt «Künstler sind auch Unternehmer», das stimmt. Kultur ist ein Teil vom Service Public, deshalb ist es richtig, dass wir hier investieren. Aber es sollte nicht in Franken pro Einwohner gemessen werden, sondern daran, was für ein Resultat herauskommt.
Bircher: Ich bin seit 11 Jahren in der Exekutive von Aarburg. Mit den verschiedenen Hüten umzugehen, ist eine Stärke von mir. Das halten mir auch andere Leute – auch über die Parteigrenzen hinweg – zugute. Wenn man sich für eine Partei entschieden hat, hat man ja gewisse Werte und gewisse Grundhaltungen, aber ein Exekutivamt ist etwas, bei dem es um die Sache geht, und es ist Alltag, dass man gegenüber der Partei teilweise eine andere Meinung vertreten muss.
Flach: Ich glaube, da sind wir alle Profis. Ich bin als Jurist fast täglich in der Situation, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen und mit allen Mitteln, die mir argumentativ in den Sinn kommen, Sachen befürworten muss, bei denen ich im Stillen denke, es gäbe doch noch eine bessere oder einfachere Lösung. Das ist unser tägliches Brot, da muss man einen breiten Buckel haben. Für mich ist wichtig, dass ich am Ende von einem solchen Prozess in den Spiegel schauen kann, das konnte ich bisher immer und so gross sind die Diskrepanzen ja zum Glück nicht.
Flach: So wie ich mich kenne, hätte ich mich wahrscheinlich enthalten, weil ich da wirklich zwei Herzen in meiner Brust habe. Wir haben eine Werterhaltung zusammen mit der Partei entwickelt, die finanzielle Nachhaltigkeit beinhaltet. Und bei der Budgetdebatte kenne ich die Details nicht und habe das eher aus der Ferne beobachtet.
Bircher: Ich kann die Frage nicht beantworten, weil ich seit 2019 nicht mehr im Grossen Rat bin, und ich kenne das Dossier und das Budget nicht. Bei mir ist es so, und das sieht man auch bei den Abstimmungen im Nationalrat: Wenn ich eine Meinung habe, dann kann die auch abweichen von der Fraktionsmeinung.
Müri: Ich möchte nochmals zurückkommen auf die Kultur-Rangliste unter den Kantonen. Ich bin etwas enttäuscht, wenn meine beiden Kolleg*innen nicht klar Stellung beziehen, wenn es ums Kulturbudget geht. Wenn es zum Beispiel um die Steuern geht, wird immer klar gesagt: Der Kanton Aargau möchte in den Top 10 sein und bei der Kultur wird das einfach nicht thematisiert, da wird gesagt, ja, es ist jetzt halt so. Ich finde es nicht ehrlich, wenn man bei dem einen Thema, den Steuern, ein klares Ziel setzt und alles daransetzt, um das umzusetzen und bei der Kultur, die ja für die Standortattraktivität ebenso wichtig ist, ignoriert man die Posititon auf der Rangliste.
Flach: Beim Standortentscheid für ein Unternehmen, wird einfach pickelhart ausgerechnet was, herauskommt, bei der Kultur kann ich das nicht. Wenn ich nach Baden gehe oder nach Wohlen, dann habe ich vor allem den grossen Vorteil, dass ich in 20 Minuten in Zürich bin, beispielsweise im Opernhaus. Baden hat auch sehr viele tolle Sachen, aber es ist nicht unehrlich zu sagen, im Bereich von der Kultur hat der Rang, den ein Kanton einnimmt, nicht das gleiche Resultat wie etwa die Unternehmenssteuer.
Flach: Gleichwohl muss Kultur fokussiert sein auf einen Markt. Die Problematik ist, dass der Markt nicht so gut funktioniert, weil die Häuser staatlich sind. Und das müssen wir aufbrechen, damit man den Teil vom Markt flüssiger machen kann, damit man auch neue Sachen ausprobieren kann und mehr Möglichkeiten entstehen.
Bircher: Ich glaube, es liegt Ihnen ein wenig auf dem Magen, dass wir die Kultur mit einem Unternehmen verglichen haben. Natürlich kann man das nicht eins zu eins vergleichen, so wie man eine Schule oder eine Verwaltung nicht mit einem Unternehmen vergleichen kann. Was ich mit meinem Vergleich sagen wollte: Die Kulturschaffenden haben ähnliche Fragestellungen wie ein Unternehmer. Auch als Kulturschaffender stellt man sich Fragen der Sozialversicherung, der Altersvorsorge oder nach günstigen Rahmenbedingungen. Damit Ende Jahr nicht alles, was bleibt, noch dem Staat abgeliefert werden muss.
Müri: Ich finde, der Kanton hat eine effiziente Kulturförderung. Das sieht man ja auch im Wirkungsbericht. Man kann durchaus die Leistungen der Kultur messen und da sieht man, dass der Kanton für den bescheidenen Betrag, den er in die Kultur investiert, eine sehr gute Wirkung erzielt. Wir sind der viertgrösste Kanton und haben eine wichtige Bedeutung als Scharnier zwischen Basel, Bern, Zürich und der Innerschweiz. Das bedeutet nicht, dass wir die Kultur delegieren können an die Nachbarkantone, sondern dass wir ein aktives und eigenes Kulturschaffen pflegen sollen. Im Pro-Kopf-Vergleich mit anderen Kantonen stehen wir einfach nicht gut da.
Müri: Der Link zwischen Schule und Kultur ist für mich eine Grundlage für Chancengerechtigkeit. Alle Kinder sollen die Chance erhalten, Kultur zu erleben, mit Kultur in Berührung zu kommen und Kultur auch zu machen – zum Beispiel im Schultheater. Ich glaube, Projekte wie etwa «Kultur macht Schule», «Tanz und Kunst» haben ein grosses Potential und funktionieren sehr gut.
Bircher: Da sind wir wahrscheinlich alle gleicher Meinung. Bildung, Kultur und Sport macht schon Sinn, dass das zusammen ist. Und es ist etwas, dass man den Kindern in der Volksschule vermitteln soll. Wenn man neun Jahre im Aargau in die Volksschule geht, sollte man vielleicht mal ein Kunsthaus anschauen. Es ist wichtig, dass man in der Schulzeit auch Zugang zur Kultur hat, weil das ja auch prägend ist für die Erwachsenenzeit. Wenn wir die Kultur ausklammern bei den Kindern und Jugendlichen, dann müssen wir uns ja nicht wundern, wenn sie später immer weniger Interesse haben an der Kultur.
BEAT FLACH
Jahrgang 1965, wohnt in Auenstein, Grünliberale, ist seit 2011 im Nationalrat. Davor war er Grossrat. Er absolvierte eine Lehre als Rheinmatrose, arbeitete in der Baubranche und studierte auf dem zweiten Bildungsweg Recht in Fribourg und Luzern.
Bircher: Sicher etwas Verbindendes.
Müri: Kultur ist identitätsstiftend und das ist in einem Kanton der Regionen sehr wichtig. Kultur verbindet auch mit unserer Vergangenheit, die Schlösser, die Römer, all das, was den Aargau prägt. Es ist wichtig, dass man sich wohlfühlt im Aargau, dass man gern hier lebt. Ich glaube, da hat die Kultur eine grosse Bedeutung.
Flach: Kultur ist das verbindende und ja nicht das trennende Element. Ich finde es wichtig, wenn Kultur auch durcheinanderbringt und irritiert. Ich finde es schade, wenn sie in einem kleinen Communitykreis stattfindet. Kultur muss offen sein und über die Regionen hinausgehen und Regionen müssen andere Regionen zu sich einladen. Dann gibt es etwas Verbindendes.
Flach: Ich lese immer mit grossem Interesse die Förderlisten von Beitragssprechungen und ich sehe das sehr positiv, was man dort macht. Was ich nicht weiss, ist, wieviele tolle Sachen eingereicht wurden, die nicht berücksichtigt wurden. Mit den Ressourcen, die zur Verfügung stehen, macht der Kanton Aargau eigentlich keine schlechte Falle, aber es hat immer Potential nach oben.
Müri: Als Stärke empfinde ich die bestehenden Kulturförderungsinstrumente. Ich glaube, da sind einige andere Kantone neidisch. Auch mit unserem Kulturkonzept sind wir auf einem guten Weg, ausser dass man mehr alimentieren müsste. Die Leuchttürme strahlen aus. Früher war ich Präsidentin des Fördervereins vom Kindermuseum, auch ein Leuchtturm. Ich freue mich, dass das Barockorchester nun auch aufgenommen wurde. Auf diese Institutionen dürfen wir wirklich stolz sein.
Bircher: Für mich ist eine Stärke der Aargauer Kultur, dass sie flächendeckend ist, wirklich von der kleinsten Gemeinde bis zur grossen Stadt über den ganzen Kanton. Dass zum Teil auch die Gemeinden selber kulturelle Sachen mitfördern können, dass sie auch sehr regional ihre Akzente setzen können, das ist wirklich ein Vorteil, den wir hier im Kanton Aargau haben. Ja und ich glaube, dass darf man auch selbstbewusst über die Kantonsgrenzen hinweg kundtun.
Müri: Ich würdige und bewundere, dass er oft gegen seine eigene Partei kämpfen musste. Das ist kein einfacher Part. Manchmal kam es mir komisch vor, wenn ich als Grüne den SVP-Kulturdirektor unterstützte gegen seine Fraktion. Ich habe ihn an vielen kulturellen Anlässen angetroffen, an vielen Bildungsanlässen. Er ist sehr präsent in der Kultur, in der Bildung und im Sport. Zu den neuen Akzenten: Ich würde mich dafür einsetzen, dass das Kulturbudget an die Bevölkerungsentwicklung gekoppelt wird. Wenn unsere Einwohnerzahl wächst, wachsen die Ausgaben für die Schulen, aber es würde auch mehr Mittel für die Kultur brauchen. Auch betreffend Teuerung in Bezug auf das Kulturbudget sollte man Grundsätze definieren. Und mir ist es wichtig, dass wir nicht nur die bekannteren Institutionen unterstützen, sondern auch die Laienkultur, und dass wir die kulturelle Teilhabe fördern.
Bircher: Wenn eine grüne Grossrätin ein Kompliment an Alex Hürzeler ausspricht, zeigt das, dass er ein sehr gutes Rollenverständnis hatte. Es ist auch ein grosser Leistungsausweis, wenn er jetzt als abtretender Regierungsrat von links bis rechts Komplimente bekommt. Ich würde meine Akzente setzen, indem ich vor Ort Gespräche führen würde mit den Leuten. Fragen, wo der Schuh drückt, wo es Verbesserungspotential gibt. Mir ist das wichtig, dass man wirklich vor Ort ist und das nicht im stillen Kämmerchen macht. Bei den Randregionen Fricktal, Zofingen, Kulm usw. würde ich Akzente setzen, damit die nicht vergessen werden bei dem doch sehr ost-lastigen Regierungsrat, den wir haben.
Flach: Als Alex Hürzeler in den Regierungsrat kam, kam ich in den Nationalrat. Am meisten mit ihm zu tun hatte ich während der Coronazeit. Ich war beeindruckt, wie er das gemanagt hat, das war eine sehr herausfordernde Zeit mit den Schulen, mit der Unterstützung der Kultur etc. Ich bin der Meinung, die Schweiz hat das sehr gut gemacht, der Kanton Aargau auch. Wir sind durch die schwierige Zeit gekommen ohne ganz grosse Kollateralschäden. Wo es für mich noch hapert, ist die Bürokratie. Ich habe das Gefühl, da könnte man vereinfachen. Dass Kulturschaffende, egal, was sie für ein Anliegen oder Projekt haben, einen Ankerpunkt hätten, und von da aus die Unterstützung kommt.