Zur Geschichte von Held*innen- Geschichten

Von
Laura Aellig und Laura Schuppli

Walter Clénins entwirft sein Wandbild «Libertas: Der Bundesschwur auf dem Rütli» im Ausstellungssaal des Bundesbriefarchivs (heute Bundesbriefmuseum) in Schwyz, undatiert.

Das Stadtmuseum Aarau zeigt mit «geliebt, gelobt, gehypt» eine Ausstellung über Held*innen, Vorbilder und Idole. Die beiden Kuratorinnen Laura Aellig und Laura Schuppli gehen dem gesellschaftlichen Phänomen auf den Grund.

Held*innen – wir begegnen ihnen überall: auf der Kinoleinwand, in Büchern, auf öffentlichen Plätzen oder in Zeitungen und sozialenMedien. Sie sind fiktiv und mit Superkräften ausge stattet, oder lebendig, von uns geliebt und von den Medien gehypt. Trotz ihrerOmnipräsenz lässt sich eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Heroischen ausmachen. Das ursprüngliche Bild des männlichen Helden und dem zugrunde liegenden militärischen Heroenkult scheint vielen veraltet und widerspricht unserem demokratischenVerständnis. Es ist diese Ambivalenz, die uns als Ausstellungsmacherinnen besonders interessiert hat. Wir haben uns gefragt,warum sind Held*innen so allgegenwärtig? Welche Eigenschaften bringen sie mit? Und welche Held*innen bleiben aktuell, welchewerden umgedeutet und welche werden vom Sockel gestossen? Mit dem Ringier Bildarchiv (Staatsarchiv Aargau), das bei uns imStadtmuseum Aarau vermittelt wird, konnten wir auf einen immensen Bilderschatz an Pressefotografien zu greifen und dervisuellen Heroisierung von Persönlichkeiten nachspüren. Gleichzeitig wollten wir uns nicht auf die Geschichten und Bilder desanalogen Zeitalters beschränken und Phänomene wie Influencer*innen, digitale Fancommunities und neue Technologieneinbeziehen sowie spielerisch die Künstliche Intelligenz als neue Superkraft zur Diskussion stellen.

Erst Pippi Langstrumpf, dann Eros Ramazzotti und heute Michele Obama: Je nach Lebensphase suchen wir unsunterschiedliche Idole aus, an denen wir uns orientieren. Doch nicht nur das Alter ist entscheidend, sondern auch die Zeit sowiedas soziale und kulturelle Gefüge, in dem wir aufwachsen. Zusätzlich bestimmen persönliche Interessen und Vorlieben, wemwir den Heldenstatus zugestehen. Wen wir als Held*in betrachten, scheint also viel über uns selbst auszusagen. Gleichzeitigwiderspiegeln sich gesellschaftliche Veränderungen, sich wandelnde Lebensumstände, Wertvorstellungen und aktuelleKrisen in den Fragen um die Held*innen. Denn jede Zeit birgt ihre eigenen Herausforderungen und mit diesen wird oft der Rufnach Persönlichkeiten laut, die Antworten auf eine schwierige Situation präsentieren. Heute werden zwar nicht mehr nur politische oder militärische Führer zu heroischen Vorbildern stilisiert, sondern ebenso Aktivist*innen, Whistleblower und Pionier*innen. Gleichzeitig scheint das Konzept der Held*in, die als Einzelperson die Probleme der Welt lösen kann, antiquiert.Und trotz unserem Verständnis als «postheroische Gesellschaft» funktioniert die Erzählung der Held*in seit Jahrhundertengleicht gut, dominiert immer noch die Schlagzeilen und füllt die Kinokassen.

Dabei hat sich von Odysseus bis Harry Potter ein Erzählmuster bewährt – die Heldenreise: Die Held*in bricht auf in eineunbekannte Welt, begegnet Freunden und Feinden, überwindet Hindernisse, entdeckt die eigenen Fähigkeiten und kehrt alsgestärkte Person zurück. Seit jeher wird die Entwicklung von der unscheinbaren alltäglichen Person zur Held*in in diesen Stationenerzählt. Auch historische Nacherzählungen, Mythen und Legenden folgen diesem Narrativ. Persönlichkeiten werden dabei zuHelden, seltener zu Heldinnen, hochstilisiert und als supranatürliches Phänomen gefeiert. Die Beispiele aus dem RingierBildarchiv zeigen eindrücklich, welche Rolle die visuelle Erzählbarkeit spielt.

So sind es die illustrierten Zeitschriften, die mit der in den 1920er-Jahren aufkommenden Bildberichterstattungprofane Held*innen schaffen und auf ihren Titelseiten feiern. Während die zuvor anonymen Filmdarsteller*innenzu «Picture Personalities» werden, deren Leben auch neben der Leinwand interessiert, bewegen die Sportler(anfänglich sind sie vor allem männlich) die Gemüter der Leser*innen. Sie dienen als Identifikationsfiguren undtragen viel zur Popularisierung der noch neuen Sportarten wie Fussball, Ski, Boxen oder Velo- und Autorennen bei.Ihre Karrieren werden nach den Mustern der Heldenreise erzählt und berichten vom Aufstieg, von Widerständen,Verletzungen oder schwierig zu erreichenden Bestzeiten, von Mentoren wie Trainern oder Eltern, von Talent,Niederlagen, Brüchen, Kämpfen und schlussendlich von strahlenden Siegen.

Homestorys geben Einblick in das ganz private Leben von Politiker*innen, Stars und Prominenten und vermittelnuns Betrachtenden eine «authentische» Nähe. Die Beliebtheit des Formats hat sich auch mit dem Schritt insdigitale Zeitalter nicht verändert. David Beckham backt auf Social Media Knoblibrot im Superheldenkostüm: Seitder Smartphone-Ära produzieren die Promis ihre Homestorys in Eigenregie und scheinbar ungekünstelt undauthentisch. Indem wir unseren «Held*innen» bei Alltäglichem wie dem Abwaschen zuschauen, können wir unsnoch einfacher mit ihnen identifizieren. Neben immer gleichen Narrativen und Publikationsformaten sind es auch die immer gleichen Posen und Gesten, welche in der Fotografie zur Stilisierung der Heldenfiguren Verwendung finden. Held*innen werden auf dem Siegerpodest, bei ihrer Ankunft am Flughafen oder auf der Bühne gezeigt, umzingelt von Fotograf*innen, mit Blumen geehrt und mit Pokalen, Medaillen oder Kronen ausgezeichnet. Daraus resultiert ein Referenzsystem, das sich jede*r von uns zu eigen machen und sich als Held*in inszenieren kann.

Und wie sehen die Held*innen der Zukunft aus? Ist die Menschheit gerade daran, die Held*in der Zukunft und eine reale Superkraft zu entwickeln, welche uns Menschen überlegen ist? Mit ChatGPT ist der Diskurs über KI in der Gesellschaft angekommen und hat unseren Umgang mit digitalen Technologien auf den Kopf gestellt. Aktuell ist es schwer vorhersehbar, wie die Technologie sich weiterentwickeln und unseren Alltag verändern wird. Künstliche Intelligenz kann heute schon Dinge leisten, wozu Menschen kaum in der Lage sind. Mit KI werden Systeme geschaffen, die Superkräften nahekommen. Doch die magischen Kräfte der Superhelden und die KI stellen uns vor ein ähnliches Problem: Wie sie genau funktionieren, wissen wir nicht, und das generiert Befürchtungen. Können wir diese Superkräfte kontrollieren, und werden wir nicht selbst von ihnen kontrolliert? In der Ausstellung sprechen wir nicht nur über die Chancen und Risiken der KI, sondern lassen die Besucher*innen selbst mit der KI über Superkräfte in Dialog zu treten und sich durch die Ausstellung zu begleiten.

HELD*INNEN IM MUSEUM ABLIEFERN

Wer hat Ihrer Meinung nach einen Ehrenplatz verdient? Wer ist Ihr Vorbild oder Idol? Haben Sie eine Fan-Tasse,ein Star-Selfie oder ein besonderes Erinnerungsstück? Das Stadtmuseum ist daran interes siert. Schicken Sieein Foto des Objektes an stadtmuseum@aarau.ch oder liefern Sie es gleich im Museum ab – vielleicht steht esdann schon bald in der «Heldothek» in der Ausstellung. mh

Vorbereitungen für den Besuch von Queen Elisabeth II. in der Eingangshalle des Bundeshaus Bern, 1980.

Audrey Hepburn von Fotografen umzingelt, undatiert.

Muhammad Ali beim Sparring, 1967.